"Theoretisch gibt es für jedes Tier einen passenden Ort und ein Zuhause", sagt Christian Morawe, Pressereferent beim Tierheim Berlin. Die allermeisten Tiere, die im Tierheim abgegeben werden, haben allerdings traumatische Erfahrungen gemacht, die nur sehr langsam oder mitunter auch gar nicht mehr heilen. Wie gelingt es dennoch immer wieder, ein neues Zuhause für Hunde, Katzen und Co. zu finden?
"Bei der Vermittlung sind wir sehr gewissenhaft", sagt Christian Morawe – vor allem, um zu verhindern, dass Tiere öfter neu vermittelt werden müssen und erneut traumatisiert werden. Wie seine Kolleginnen und Kollegen genau vorgehen, um passende Familien für ihre Schützlinge zu finden, erklärt Christian Morawe bei Petmos.
Wie viele Tiere werden im Tierheim Berlin pro Jahr vermittelt?
Im Tierheim Berlin werden tagtäglich rund 1300 Tiere versorgt. Im Jahr 2022 wurden insgesamt 3877 Tiere neu aufgenommen. Bei 3000 Vermittlungsanfragen gab es schließlich 2452 Tiervermittlungen – darunter waren 1348 Katzen, 366 Hunde, 532 Nage- und Hasentiere, 139 Vögel und 67 Reptilien und Schildkröten, die ein neues Zuhause gefunden haben.
Die Quote der Tiere, die direkt nach der Vermittlung zurückgebracht werden, ist laut Christian Morawe sehr niedrig. Häufiger passiere es jedoch, dass vermittelte Tiere viel später, nach zehn Jahren, wieder ins Tierheim Berlin zurückkommen. Grund dafür sei, dass die Tiere im Laufe ihres Lebens gewissen Veränderungen ausgesetzt seien – zum Beispiel dadurch, dass sich die Lebensumstände innerhalb der Familie gewandelt haben. "Dann stehen die Tiere nicht selten wieder vor der Herausforderung, irgendwo unterzukommen, da die jeweilige Situation im gewohnten Zuhause keine Möglichkeit mehr bietet", weiß Christian Morawe. Langfristig verändere sich diese Zahl nach oben: Menschen, die ein Tier abgeben müssen, finden oft kein neues Zuhause und wenden sich schließlich ans Tierheim.
Für die meisten Suchenden beginnt der Vermittlungsprozess auf der Homepage des Tierheims. Dort kann man sich unter der Rubrik "Tiere im Tierheim" Hunde, Katzen, Kleintiere, Vögel, Exoten und sogenannte Haustiere anschauen. Unter jedem Tierprofil kann man seine Kontaktdaten in einem Formular eintragen. So kommt der Vermittlungsprozess in Gang.
Worauf achtet das Tierheim Berlin bei der Vermittlung?
Bei der Auswahl eines neuen Zuhauses achten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tierheims vor allem darauf, die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Tieres genau zu berücksichtigen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass für den Vertrauensaufbau eine längere Phase nötig ist. Wenn ein Hund aus sehr instabilen Verhältnissen ins Tierheim gekommen ist, reicht ein Kennenlernbesuch oft nicht aus. Der Interessent sollte mehrere Male Zeit mit dem Tier verbringen, bevor eine Entscheidung getroffen wird.
"In jedem Fall gibt es ein Gespräch mit unserem Pflegepersonal, um die persönlichen Umstände der Interessenten abzufragen", sagt Christian Morawe. Dazu gehören folgende Fragen: Wie leben Sie? Wie groß ist die Wohnung? Kann sich bei eventueller Krankheit jemand anderes um das Tier kümmern? Sind bereits andere Tiere im Haushalt? Sehr genau werde die Erfahrung im Bereich der Tierhaltung abgefragt.
"Bei Hunden sollte dann auch ein Beschnuppern in Form eines Gassigehens erfolgen, gerne auch ein mehrfaches Gassigehen, um sich aneinander zu gewöhnen", sagt Christian Morawe. "Es kann auch eine Probewoche eingelegt werden, um das Vertrauen weiter aufzubauen und um festzustellen, was es konkret bedeutet, ein Tier in den eignen Alltag aufzunehmen."
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Wie unterstützt das Tierheim Berlin nach der Vermittlung?
Je nach Tierart lasse sich der Prozess abkürzen. Bei Reptilien oder Kleintieren wie Meerschweinchen und Zwergkaninchen werde genau abgefragt, wie erfahren die Interessenten mit der Unterbringung dieser Tierarten sind. Nicht so viel Zeit brauche es hier indes, um sich aneinander zu gewöhnen. Ziel sei immer, das Tier sicher in einem neuen Zuhause unterzubringen, in dem es zur Ruhe kommen und Schutz finden kann. Um die Ernsthaftigkeit der Adoption zu unterstreichen und den Tierhandel zu unterbinden, fällt für jedes Tier eine Schutzgebühr an.
Mit dem Einzug in das neue Zuhause ist der Vermittlungsprozess abgeschlossen, die Unterstützung durch das Tierheim aber noch nicht vorbei. Bei Nachbesuchen überprüfen die Mitarbeiter, ob die zuvor angegebenen Lebensumstände der Realität entsprechen und ob es dem adoptierten Tier gut geht. Bei kranken oder verhaltensauffälligen Tieren bietet das Tierheim Unterstützung an, um den Einstieg im neuen Zuhause zu erleichtern. Auch können Krankheiten, die durch die tierheimeigene Tierarztpraxis diagnostiziert wurden, ein Tierleben lang dort behandelt werden. Unter Umständen werden die Tiere dort auch mit Medikamenten, Physiotherapie oder Operationen versorgt, so Christian Morawe.
Das erschwert die Vermittlung von Tierheim-Tieren
In vielen Fällen klappt die Vermittlung gut – aber einfach ist sie nicht immer. "Tiere sind individuelle Lebewesen und haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse", sagt Christian Morawe. "Dabei treffen auch mal Vorstellung und Realität der Interessentinnen und Interessenten aufeinander und erschweren oder verhindern eine Vermittlung." Traumatische Erfahrungen und Beißvorfälle lassen die Chancen auf eine erfolgreiche Vermittlung sinken – nicht jeder ist bereit für ein Tier mit besonderen Herausforderungen.
"Es sind also nicht die Tiere, die das Problem darstellen", sagt Christian Morawe. Es gehe vielmehr darum, die passenden Menschen zu finden, die mit ihrer Wohnsituation und ihrer Zeit, die sie für das Tier aufbringen, dazu beitragen, dem Tier ein gutes, artgerechtes Leben zu ermöglichen.
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So erhöht das Tierheim Berlin die Chancen für eine Vermittlung
Um traumatisierten Hunden die Chance auf eine Vermittlung zu erhöhen, hat das Tierheim Berlin ein eigenes Rehazentrum. "Dort wird intensiv mit den Tieren gearbeitet, um neues Vertrauen aufzubauen", sagt Christian Morawe. "Vertrauen darin, dass nicht alle Menschen oder Hunde doof und gemein sind." Einige Hunde ließen sich damit zumindest so weit sozialisieren, dass sie gewissermaßen alltagstauglich würden. Das einmal erlebte Trauma bleibe jedoch bestehen. Es gebe gewisse Trigger – von denen einige sicherlich auch unbekannt seien. Sie können erneut ein Trauma auslösen oder in Erinnerung rufen.
"Daher ist beim Umgang mit diesen Tieren immer im Hinterkopf zu behalten, dass klar und deutlich kommuniziert werden muss", sagt Christian Morawe. Die Hunde benötigten zu jeder Zeit eine klare und bestimmte Führung durch die andere Seite der Leine. Somit seien hier Menschen gefragt, die bereits Erfahrung mit Hunden und im besten Fall auch Erfahrung mit der jeweiligen Rasse haben. Diese Kenntnisse und Fähigkeiten fragen die Tierheim-Mitarbeiter im Vorgespräch ab. Auch sind sie bei den ersten Begegnungen zwischen Mensch und (traumatisiertem) Tier dabei.
Bei manchen Tieren dauert die Vermittlung sehr, sehr lange
Auch wenn eine Vermittlung an erfahrene Menschen möglich ist, bleiben viele dieser Tiere "sehr sehr lange" im Tierheim, weiß Christian Morawe. Nicht selten seien es mehrere Jahre, manche verblieben dort auch bis zu ihrem Tod. "Aufgrund ihrer Vorgeschichte werden sie stigmatisiert und zum Problemhund, der wegen dieser ganzen Umstände schwer vermittelbar ist."
Hinzu kommen, so Christian Morawe, politische oder gesellschaftliche Probleme, die eine Vermittlung erschweren: zum Beispiel Haltungsverbote für einige Hunderassen sowie die fehlende Bereitschaft von Vermieterinnen und Vermietern, in ihren Wohnungen Tiere zuzulassen. Auch die illegale Tierzucht und der illegale Tierhandel tragen zu den Problemen mit traumatisierten Hunden bei. So sei es sehr leicht, einen Hund zu bekommen, bei dem niemand die Eignung des Tierhalters abfragt. Diese Tiere landen nicht selten aufgrund von Alltagsvorfällen wie Bissen oder ähnlichem im Tierheim Berlin.