Humpeln, Durchfall, Erbrechen – schon auf den ersten Blick harmlosere Symptome können bei Tieren auf einen Notfall hindeuten. Bettina Bombosch, Tierärztin im österreichischen Leonstein, beobachtet in ihrer Praxis immer wieder, dass Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer zu spät zu ihr kommen. "Das geschieht nicht aus Bösartigkeit", sagt sie, "sondern meistens aus Unwissen." Umso wichtiger ist es ihr, über Notfälle und Erste Hilfe aufzuklären und auch notfallunerfahrenen Menschen eine erste Anleitung zu geben, wie sie ihren Hunden und Katzen bei akuten Problemen helfen können.
Ein erster Schritt ist, überhaupt zu erkennen, dass es sich um einen Notfall handelt. Es gibt sehr offensichtliche Notfallsituationen: Ein Hund bricht zusammen, oder eine Katze wird angefahren. Aber: Es gibt auch gefährliche Verletzungen oder Erkrankungen, die unscheinbarer daherkommen, aber trotzdem schnell behandelt werden müssen. Für Petmos gibt Bettina Bombosch einen Überblick, welche Notfälle aus ihrer Erfahrung bei Hunden und Katzen häufiger vorkommen.
Notfälle erkennen: Wann ist schnelles Handeln gefragt?
Hunde
- Schnell zum Tierarzt fahren sollte man beim Verdacht einer Vergiftung. Besonders häufig treten Vergiftungen bei Hunden durch Schneckenkorn, Rattengift und Birkenzucker auf, der häufig in Gebäck oder Medikamenten aus der Humanmedizin enthalten ist. Schon kleine Mengen an Birkenzucker führen laut Bettina Bombosch zu lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen.
- Auch ein Bandscheibenvorfall ist als Notfall zu behandeln: "Pauschal kann man sagen: Wird ein Hund, der Lähmungserscheinungen zeigt, nicht umgehend adäquat untersucht, sinken seine Chancen schnell, dass er wieder gehen wird, da er dauerhafte Rückenmarksschäden behält", warnt Bettina Bombosch. Anzeichen eines Bandscheibenvorfalls beim Hund ist vor allem das Hinterherziehen einer oder beider Hintergliedmaßen, das auf eine Lähmung hindeutet.
- Eine oft unerkannte, wenn auch nicht ganz so zeitkritische Gefahr sind Wunden, die bei Beißereien – oder sogar nur beim Spiel – zwischen Hunden entstanden sind. Manchmal bluten sie noch nicht einmal und äußerlich sind nur kleine Löcher zu sehen. Aber: "Oft bleiben die Hunde mit ihrem großen Eckzahn in der Haut hängen und reißen dann von der unteren Haut ein großes Stück ab", sagt Bettina Bombosch. "Es entsteht eine große unterirdische Tasche." Und in dieser Wunde vermehren sich schnell Bakterien, ein Abzess kann entstehen. Auch nach Beißereien rät Bettina Bombosch zum Tierarzt-Besuch, um die Wunde zu untersuchen, gegebenenfalls rechtzeitig mit einem Antibiotikum gegenzusteuern und so um eine Operation zu vermeiden.
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- Bei größeren, älteren Hunden können Milztumore auftreten, welche ab einer bestimmten Größe aufplatzen können. "Der Hund bricht zusammen, und es besteht die Gefahr, dass er innerlich verblutet", erklärt Bettina Bombosch. Es gibt gutartige und bösartige Milztumore, die bösartigen überwiegen jedoch leider. "Bei einem bösartigen Milztumor liegt die Lebenserwartung auch nach einer gut überstandenen OP oft nur bei einigen Wochen."
- Große, tiefbrüstige Hunde wie zum Beispiel Dobermänner oder Schäferhunde haben ein großes Risiko, eine Magendrehung zu bekommen. Dann möchte der Hund erbrechen, kann es aber nicht. Ein Zeichen dafür ist auch, dass der Bauch immer dicker wird. Auch in diesem Fall sollte man sofort zum Tierarzt oder in eine Klinik fahren.
- Bei unkastrierten Hündinnen kann es im Alter zu einer Pyometra, einer eitrigen Gebärmutterentzündung kommen. "Auch das ist ein Notfall", sagt Bettina Bombosch. "Wir müssen dann den Bauch aufmachen und in einer Operation die Gebärmutter entfernen. Wenn das nicht früh genug passiert, kann der Hund daran versterben." Häufige Symptome sind vermehrtes Trinken, Fieber, Mattigkeit und vaginaler Ausfluss.
- Auch Durchfall und Erbrechen können zu einem Notfall werden, vor allem bei Welpen. Sie haben ein erhöhtes Risiko für Parvovirose, eine gefährliche Virusinfektion, deren Symptome vor allem starkes Erbrechen und blutiger Durchfall sind. Aber: Auch junge Hunde können bereits ab der 8. Lebenswoche gegen Parvovirose geimpft werden. Bei einem Parvovirose-Verdacht ist eine schnelle Behandlung nötig. Wird sie nicht behandelt, ist die Überlebenschance des Welpen gering.
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Katzen
- Ein absolutes Alarmzeichen ist es, wenn eine Katze unter Atemnot leidet. Ursache dafür können Tumore, Herzprobleme und in der Folge Wasseransammlungen in der Lunge sein. Die Gefahr besteht, dass das Tier durch Herzversagen verstirbt. Wenn die Katze hechelt, sollte man also unbedingt zügig zum Tierarzt fahren.
- Aufgrund einer Vorerkrankung des Herzens kann es zu Thrombosen kommen. Eine Thrombose erkennt man daran, dass die Katze ihre Hinterbeine wie gelähmt nachschleift und herzzerreißend schreit. Eine Thrombose ist ein sehr schmerzhafter Zustand, bei dem die Durchblutung der Hintergliedmaßen durch einen Propf in der Hauptschlagader teilweise oder vollständig blockiert ist.
- Schreie sind bei Katzen häufig ein Signal, dass etwas nicht in Ordnung ist. Wenn Katzen beim Klogang schreien, kann ein Harngries ein Grund sein. Die Tiere können nicht Wasser lassen, und die Blase füllt sich immer mehr, wird größer und kann reißen, wenn der Tierarzt nicht rechtzeitig aufgesucht wird. Unter Harnstein leiden vor allem dicke Kater.
- Auch ein Darmverschluss kommt bei Katzen häufiger vor und ist eine gefährlichere Sache. Dazu kommt es oft, wenn das Tier etwas frisst, was es eigentlich nicht fressen soll: Oropax zum Beispiel, Fäden oder die Plastikverzierungen von Crocs. Die Symptome für einen Darmverschluss hängen von der Lokalisation und der Ursache des Verschlusses ab, wobei die häufigsten Erbrechen, Unruhe, Unwohlsein und Verweigerung der Nahrungsaufnahme sind. Kotabsatz kann, wenn es nur ein Teilverschluss ist, noch vorhanden sein.
- "90 Prozent der Humpeleien bei Freigänger-Katzen sind auf Beißunfälle zurückzuführen", sagt Bettina Bombosch. Die Verletzungen nach einer Katzenbeißerei seien oft noch schwieriger zu erkennen als bei Hunden, da sich die Wunde oft schnell schließt. Hinzu kommt, dass der Katzenspeichel besonders viele Bakterien enthält, und es so noch schneller zu einem Abzess kommen kann, der mit einem Antibiotikum behandelt werden sollte.
- Neben Beißereien sind viele Verletzungen bei Katzen auf Auto- und Mähunfalle zurückzuführen.
Was sollte ich machen, wenn ich mir unsicher bin?
"Grundsätzlich sollte man aufhorchen, wenn das Tier ein Verhalten zeigt, das man sonst nicht von ihm kennt", rät Bettina Bombosch. "Das heißt nicht unbedingt, dass es sich um einen Notfall handeln muss. Aber man sollte einen Tierarzt aufsuchen." Oder sich zumindest telefonisch eine erste Einschätzung einholen, was bei den vorhandenen Symptomen zu tun ist. Auch sollten Tierhalter immer wissen, an wen sie sich wenden können, wenn der Haustierarzt oder die Haustierärztin keinen Dienst hat. Die Nummer einer Tierklinik oder eines 24-Stunden-Dienstes sollte immer bereitliegen – auch auf Reisen oder im Urlaub.
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Erste Hilfe: Wie sollte ich mich bei einem Notfall verhalten?
"Grundsätzlich sollte ich als Tierhalter versuchen, ruhig zu bleiben", sagt Bettina Bombosch. "Also in ruhigem Ton reden, mich ruhig bewegen und es dadurch versuchen zu beruhigen." Wenn ein Tier verletzt am Boden liegt, sollte man sich zuerst einen Überblick über offensichtliche Verletzungen verschaffen. Je nach Situation ist es möglich, das Tier zu tragen. Als Hilfsmittel können Decken, Bretter oder eine Katzenbox dienen, damit das Tier beim Tragen nicht allzu viel bewegt wird. "Vor allem Katzen werden öfter aggressiv, wenn ihnen etwas wehtut", sagt die Ärztin. Aber auch bei Hunden kann es passieren, dass sie zubeißen, wenn sie große Schmerzen haben.
Für den Transport eines Tieres zum Tierarzt oder in die Tierklinik bedeutet das, dass man sich Hilfsmittel dazu nehmen sollte, zum Beispiel einen Maulkorb beim Hund oder eine dicke Decke, die man über die Katze stülpt, um sie damit hochzuheben und in eine Box zu setzen. "Eine sanfte Zwangsmaßnahme kann für den Transport schon ratsam sein", sagt Bettina Bombosch. Verletzte Körperteile solle man besser nicht anfassen. Bei einem großen Hund sollte man sich immer eine zweite Person suchen, wenn das Tier hochgehoben werden muss.
Mehr Wissen über Erste Hilfe bei Hunden und Katzen können Tierhalter sich in speziellen Erste-Hilfe-Kursen aneignen. Auch in diesen Kursen geht es weniger um die Extremfälle – was mache ich, wenn ein verletzter Hund am Straßenrand liegt? –, sondern mehr um alltägliche Gefahren wie Bisswunden, Insektenstiche und Stöckchen-Verletzungen. Auch lernt man, die Atmung des Tieres zu überprüfen, Wunden zu versorgen und einen Hund in eine stabile Seitenlage zu bekommen. Mit erklärt wird auch meistens, wie eine Herz-Druck-Massage beim Tier funktioniert.
Erste-Hilfe-Tipps für bestimmte Notlagen
Hitzeschlag
Starkes Hecheln, glasiger Blick, Erbrechen: Bei einem Hitzeschlag besteht akute Lebensgefahr. Um die Körpertemperatur zu senken, sollte man den Hund sofort mit Wasser kühlen, also mit kaltem Wasser übergießen, ihn unter eine kalte Dusche stellen oder ihn in eine Wanne mit kaltem Wasser legen. Der Kopf sollte dabei außerhalb des Wassers bleiben. Bei 39,5 Grad sollte die Kühlung gestoppt werden, um eine Unterkühlung zu vermeiden. Ab dieser Temperatur kann der Körper sich wieder selbst in seinen individuellen Normalbereich regulieren: Die Normaltemperatur bei einem Hund liegt bei bis zu 39 Grad. Hunde mit dickem Fell sollte man, wenn möglich, scheren, damit sie mehr Wärme abgeben können. Auch sollte man dem Tier genügend Wasser zu trinken geben.
Unterkühlung
"Unterkühlungen gibt es eher selten", sagt Bettina Bombosch. Das kann zum Beispiel passieren, wenn ein Hund im Winter länger ins Wasser geht oder eine Katze lange verstört im strömenden Regen draußen sitzt, weil sie einen Unfall hatte. Will man ein Tier aufwärmen, kann man es neben eine Heizung oder auf eine Wärmematte legen. Auch eine Rotlichtlampe oder ein Kirschkernkissen helfen beim Aufwärmen. Bettina Bombosch rät aber auch hier zum Tierarzt-Besuch – er hat oft das bessere Material und kann abklären, was der Grund für Unterkühlung ist.
Giftköder
Hat man den Verdacht, dass der Hund einen Giftköder gefressen hat, sollte man sofort zum Tierarzt fahren. Bettina Bombosch: "Kommt man innerhalb von einer Stunde zu uns, können wir die Tiere noch erbrechen lassen und somit Schlimmeres abwenden." Dann befinde sich das Gift meistens noch im Magen und hat sich noch nicht im Körper ausgebreitet.
Blutung stoppen
Eine abgerissene Kralle, ein Biss am Ohr: Bei einigen Verletzungen kann es blutig werden. Die Blutung stoppen kann man zum Beispiel, indem man ein sauberes Tuch nimmt und die blutende Stelle damit zudrückt. Gut sei es, bei blutigen Verletzungen einen Druckverband zu machen und dann zum Tierarzt zu fahren.
Wie kann ich Notfällen vorbeugen?
Bettina Bombosch rät zu regelmäßigen Check-ups, auch wenn der Hund einen gesunden Eindruck macht. Ab einem gewissen Alter sind Blutuntersuchungen zu empfehlen. Auch ein Bauchultraschall und bei bestimmten Rassen ein Herzultraschall sind ratsam, um eventuelle Veränderungen früh genug festzustellen.
Außerdem ruft die Tierärztin dazu auf, sich "sinnvoll mit seinem Tier zu beschäftigen", um sein Verhalten und vor allem seine Sprache besser kennenzulernen. So könne man mehr Empathie entwickeln und ein Leiden vielleicht besser erkennen. Bei einem Verdacht, dass das Tier unter Schmerzen leidet, passiere es zum Beispiel immer wieder, dass Tierbesitzer zu spät zum Tierarzt fahren. Bei vielen Symptomen helfe es auch, sich zu fragen: "Was würde ich machen, wenn man selbst darunter leiden würde?" Meistens sei die Antwort dann ziemlich klar: zum Arzt gehen.