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Haustiere tragen oft maßgeblich zu unserer Lebensqualität bei. Aber was ist, wenn sich unser Zusammenleben mit dem Tier nicht so einfach, schön und unbeschwert gestaltet, wie wir es uns vorstellen? Tiertrainerin und Beraterin Wibke Hagemann aus dem münsterländischen Emsdetten weiß, welche Situationen Tierhalter belasten und wie jeder lernen kann, besser mit Krisen und schwierigen Phasen umzugehen. Ihr Wissen dazu teilt sie in ihrem Onlinekurs "Resilienz für Hundemenschen" – und auch für Petmos gibt sie einen Einblick in das Thema.
Auslöser für Mensch-Tier-Krisen
"Für viele Tierbesitzer ist es besonders belastend, wenn ihre Tiere Problemverhalten zeigen", weiß Wibke Hagemann: Wenn eine Katze plötzlich überall in der Wohnung uriniert. Wenn ein Papagei den ganzen Tag ungehalten ist und schreit. Wenn ein Hund ängstlich ist, wenn er Probleme bei Begegnungen mit anderen Tieren hat oder wenn er ein Familienmitglied gebissen hat – das sei oft besonders erschütternd. "Die Tiere machen all das natürlich nicht, weil sie uns belasten wollen, sondern weil es ihnen nicht gut geht", erklärt Wibke Hagemann.
Alarm, Angst oder Freude? Das bedeutet das Bellen deines Hundes wirklich
Im täglichen Umgang mit dem Tier stellt Problemverhalten Frauchen und Herrchen vor Herausforderungen und kann weitere Folgen haben: Der Tierhalter mag keine Gäste mehr nach Hause einladen, weil die Wohnung nach Katzenpipi stinkt. Oder er verzichtet auf gemeinsame Spaziergänge mit einem befreundeten Hundebesitzer, weil sein Hund sich mit dem anderen Tier nicht versteht. "Dann platzt ein Traum: Der Tierhalter kann mit seinem Liebling nicht das machen, was er sich gewünscht hat", sagt Wibke Hagemann. "Und das tut weh."
Besonders bitter kann es sich anfühlen, wenn das Tier aus einem bestimmten Grund angeschafft wurde, diese Erwartung aber nicht (mehr) erfüllen kann: Ein Hund eignet sich doch nicht als Therapiehund. Ein Pferd verletzt sich und kann doch keine Turniere mehr reiten. Oder ein geretteter Straßenhund ist nicht dankbar – weil er als Hund eben keine Dankbarkeit zeigen kann.
Wahre Ursachen für Mensch-Tier-Krisen
Wibke Hagemann weiß, dass es häufig nicht das Tier ist, das eine Krise auslöst. "Das Verhalten des Tieres bringt das Fass oft nur zum Überlaufen." In vielen Fällen treten Probleme auf, wenn der Mensch selbst eine schwierige Phase, eine Krise durchlebt. "Fairer wäre es also, einen Schritt zurückzutreten und zu fragen: Was passiert da gerade? Warum empfinde ich gerade das eine Problem mit meinem Tier, das noch hinzukommt, als unerträglich?"
Hintergrund kann zum Beispiel die Trauer um einen verstorbenen Menschen, eine hohe Arbeitsbelastung oder eine Veränderung in der Familiensituation sein. Manchmal zeigt das Tier kein Problemverhalten, sondern wird aufgrund der anstrengenden Lebensphase plötzlich als Belastung wahrgenommen. "Wenn zum Beispiel ein Kind schwer erkrankt, nimmt die Krankheit viel Raum in einer Familie ein. Dann kann sich die Zeit, in der wir mit dem Hund spazieren gehen, plötzlich belastend anfühlen." Vorher war die Zeit mit dem Hund eine Quelle für Ruhe und Rehabilitation. Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungen verkehrt sich die Aufgabe, die sich früher positiv anfühlte, ins Negative. Die Belastungsgrenze ist überschritten. Es kriselt auch in der Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Das bedeutet Resilienz
"Krisen sind normal", sagt Wibke Hagemann. "Jeder hat Krisen im Leben. Resilienz bedeutet für mich, dass ich in Krisen meines Lebens Zugriff auf meine innere Stärke finde. Dass ich Strategien und Möglichkeiten in mir selbst habe, um mich selber zu beruhigen und mir selbst ein Umfeld zu schaffen, mit dem es mir wieder besser geht. Wo ich wieder Kraft tanken, durchatmen und einen positiven Blick auf die Dinge bekomme – um aus der Krise herauszukommen und wieder Freude an den Dingen zu haben, die ich gerne machen möchte."
Ein Anfang sei, sich über das Thema Resilienz zu informieren und ein Verständnis dafür und auch für seine eigene Situation zu bekommen. In akut stressigen Situationen könne man sich fragen, warum man gerade so gestresst ist, wo man sich besonders belastet fühlt, wie man diese Belastung entzerren kann und wo man um Hilfe fragen kann. Man könne sich auch fragen: Muss ich das alles alleine machen? Hängt das wirklich nur an mir? Wichtig sei, die Perspektive zu wechseln.
"Es sind immer zwei Dinge", sagt Wibke Hagemann. Um mit dem Problemverhalten eines Tieres umzugehen, sollte man sich Unterstützung durch einen Tiertrainer oder eine Tiertrainerin holen. "Aber es gibt auch die menschliche Seite." Sie empfiehlt Hundehaltern, auch sich selbst wichtig zu nehmen und sich Beratung zu suchen, zum Beispiel durch ein Telefonat mit dem Trainer oder ein Gespräch mit einen systemischen Coach. Manchmal helfe es auch, einen Tiertrainer zu fragen, ob ein bestimmtes Verhalten normal sei und die Antwort zu bekommen: "So geht es ganz vielen." Dadurch fühle man sich nicht so allein mit dem Problem. Manchmal können Tiertrainer und Menschencoach Hand in Hand arbeiten, damit es beiden besser geht – und der Mensch für neue Krisen seine Resilienz trainiert hat.
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Resilienter werden und die Haltung ändern
In vielen Situationen helfe es, die eigene Haltung zu hinterfragen und einen Schritt zurückzutreten: "Ich kann mich fragen, ob mein Tier wirklich leisten kann, was ich von ihm erwarte." Zweitens könne man sich fragen: "Bin ich gerade in diese gemeine Falle getappt, die sich Stimmungsübertragung nennt?"
Denn: Oft spenden Tiere in schwierigen Situationen Trost. Hunde zum Beispiel lesen die Mimik und Körpersprache ihrer Frauchen und Herrchen genau. Durch ihren feinen Geruchsinn können sie außerdem die Stresshormone wahrnehmen, die man ausströmt. Manchmal versuchen Hunde dann, ihre Menschen aufzuheitern – oder lecken ihnen die Tränen aus dem Gesicht. Aber: Es kann auch zu einer Stimmungsübertragung kommen. "Gerade wenn Mensch und Tier eine enge Beziehung haben, besteht die Gefahr einer Symbiose. Wenn ich die ganze Zeit nur auf Krawall gebürstet bin, kann sich meine Stimmung auf mein Tier übertragen", sagt Wibke Hagemann.
So stärkst du die Bindung zwischen dir und deinem Hund
Das Tier könne dann mit Ablehnung oder Problemverhalten reagieren, weil es die Belastung nicht mehr kompensieren kann. Es sei gar nicht so einfach, aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen. "Manchmal hilft aber schon eine Auszeit. Anstatt eines schwierigen Spaziergangs durch das Wohngebiet, wo wir ständig üben müssen, fahren wir aus dem Wohngebiet heraus, wo wir entspannter sein können. Dass wir wohlwollender mit uns, aber auch mit dem Tier sind, ist so ein erster Schritt, der helfen kann." Immer wieder die gleichen Dinge zu tun und den Hund mit den schwierigen Situationen zu konfrontieren, mache es schlimmer. Eine andere Perspektive, eine neue Haltung hingegen kann aus der Krise führen und die Resilienz stärken.
Wibke Hagemann: "Aber es ist menschlich, dass wir uns da zunächst herausziehen und sagen: An mir kann es ja nicht liegen. Es tut ja weh, sich einzugestehen, dass ich als Mensch Teil des ganzen Problems bin. Als Erkenntnis ist das unangenehm. Aber wir müssen hinschauen, um es ändern zu können. Wir müssen ehrlich mit uns sein."
So trainiert man Resilienz
Um langfristig Resilienz aufzubauen, rät Wibke Hagemann zum Beispiel zu Atem- und Entspannungsübungen. "Achtsamkeit ist auch hier ein riesiges Thema – was vor allem bedeutet, wohlwollender mit sich umzugehen." Auch könne man sich Techniken aneignen, um einen Perspektivwechsel vorzunehmen oder Strategien für schwierige Situationen zu entwickeln.
"Es gibt aber natürlich auch Situationen, die über eine normale Krise hinausgehen, zum Beispiel wenn jemand eine Depression hat", sagt Wibke Hagemann. "Es gibt Konstellationen, in denen es einfach nicht passt und sich Mensch und Tier gegenseitig belasten." Dann sieht sie es auch als ihre Aufgabe als Coach, dem Menschen vorsichtig eine weitere Empfehlung auszusprechen und ihn vielleicht bei der Vermittlung eines Hundes in ein neues Zuhause zu unterstützen. Das könne der Fall sein, wenn viele Dinge zusammenkommen – zum Beispiel, wenn sich ein psychisch kranker Mensch nach dem Verlust seines Partners plötzlich alleine um seinen Hund kümmern muss oder ein stationärer Klinikaufenthalt ansteht.
"Das ist aber zum Glück nicht allzu oft der Fall", sagt Wibke Hagemann. Vielen Krisen zwischen Mensch und Tier könne man begegnen, indem man an seinem eigenen Mindset arbeite und sich Hilfe von Profis hole. Manchmal komme man dann auch schnell auf einfache Lösungen – ein Klassiker sei hier die typische Spaziergehrunde: "Es gibt Menschen, die mit ihrem Hund immer eine Runde gehen 'müssen'. Nun wissen sie aber schon, dass sie auf dieser Runde mindestens drei Menschen begegnen, die in ihnen und ihrem Hund negativen Stress auslösen. Trotzdem sind sie nicht in der Lage, das zu ändern." Obwohl man hin und her oder an einem anderen Ort spazieren gehen könnte. Hier helfe oft ein Perspektivwechsel.
Wibke Hagemanns persönliches Krisenwerkzeug
Wie begegnet die Tiertrainerin selbst den Krisen in ihrem Leben und mit Tieren? Wie stärkt sie ihre Resilienz? "Ich versuche mir bewusst zu machen, was gut läuft und in was für einer wunderbaren Position ich mich doch befinde", sagt Wibke Hagemann. Von Menschen geliebt zu werden, über ihren Hund lachen zu dürfen und sich zu freuen, wenn sie zum Stall komme und ihr Pferd ihr entgegenwiehere. "In schwierigen Zeiten versuche ich, diese Momente bewusster wahrzunehmen. Ich glaube, mein persönliches Werkzeug ist das Anhalten und Innehalten. Ich bin sehr aktiv, sehr schnell, gerne in Bewegung, aber in Krisenzeiten ist es für mich wichtig, das Gegenteil zu tun." Anzuhalten, wenn ihre Hündin Kaspereien macht, mit ihr Spaß zu haben, sie zu knuddeln und zu knutschen, diese Momente bewusst zu genießen und aufzutanken – das hilft ihr persönlich weiter und stärkt sie für alles, was kommt.
Hinter den Kulissen: Tiertrainerin Wibke Hagemann über ihre Arbeit im Zoo