Vom "Pferdemädchen" bis zur Unternehmerin mit einem eigenen Pferdehof in Südfrankreich: Pferdetrainerin Nina Steigerwald hat eine Menge erreicht, vielen Tieren geholfen, eigene Trainingsgeräte entwickelt und sich schließlich ihren Traum vom Auswandern nach Südfrankreich erfüllt. Seit gut einem Jahr lebt sie mit ihrem Mann und ihren sechs Pferden auf dem Hof "Le Matou" in der Nähe des Mittelalter-Städtchens Carcassonne, hat "niedersächsische Agrarsteppe" – Mais-, Kartoffel- und Rapsfelder – gegen die abwechslungsreiche Berglandschaft nahe der Pyrenäen getauscht. Auf ihrer Homepage beschreibt Nina Steigerwald sich selbst als Idealistin, Autorin und Tüftlerin.
Wenn man sie fragt, was sie sich für die Zukunft wünscht, überlegt sie nur kurz und sagt dann ziemlich schnell: "Mehr Ehrlichkeit."
Sie wünscht sich, dass die Dinge im Pferdetraining beim Namen genannt werden und sich aversive Trainingsmethoden nicht hinter schönen Wörtern wie "Hilfe" – für den Einsatz von körperlichem Ungemach für das Tier – verbergen. In der Reitersprache gebe es so viele Begriffe, die beschönigen, was wirklich passiert: Die Gerte sei der "verlängerte Arm", "Energie schicken" eine Beschreibung für das Wedeln mit der Longierpeitsche. Mit "Vertrauensaufbau" sei meistens das In-der-Runde-Scheuchen in einem abgesperrten Gelände gleichgesetzt.
Schlüsselerlebnis beim Pferdetraining
Auch Nina Steigerwald hat früher selbst nicht nur auf der Basis positiver Verstärkung gearbeitet. "Auch ich habe als Zwischenstand auf meinem Trainingsweg mit der Gerte gedroht und dann mit Futter belohnt", erinnert sie sich – bis es bei ihr auf dem Reitplatz, damals noch in Niedersachsen, ein Schlüsselerlebnis gab. Sie merkte, dass ein Pferd, dem sie mit der Gerte gedroht hatte, immer wieder zum Ausgang lief. Sie wiederholte das Szenario mit zwei weiteren Pferden – auch die wollten nichts als zur Tür hinaus. "Alle drei Pferde haben mir gesagt: Ich möchte nicht bedroht werden." Nina Steigerwald hatte die Botschaft verstanden und ja auch vorher schon oft gesehen, dass das Training mit Pferden auch anders laufen kann, ohne Drohgebärden. Seitdem lässt sie die Gerte im Training komplett weg.
Positives Tiertraining: Was ist das eigentlich genau?
"Clickerpferde zum Beispiel wollen meistens immer weitermachen", sagt sie und meint damit Pferde, die mit einem kleinen Gerät, einem Clicker, trainiert werden. Die Tiere haben offenbar Spaß daran. Mit einem "Click" zeigt die Trainerin an, in welchem Moment das Tier etwas richtig gemacht hat. Daraufhin folgt eine Belohnung, meistens in der Form von Futter. Heute arbeitet Nina Steigerwald mit "einhundertprozentigem Fokus auf positiver Verstärkung": "Ich sehe den Unterschied in den Pferdegesichtern", sagt sie.
Was genau sie dort sieht: Wachheit, Offenheit, Interesse. "Ein Lächeln."
Pferde, die mit aversiv basierten Methoden trainiert würden, hätten dieses Lächeln, dieses Funkeln, nicht.
Die perfekte Wippe für Pferde
Nina Steigerwald hat zunächst als Masseurin und medizinische Bademeisterin gearbeitet, aber schnell "umgesattelt" und 1998 mit der Pferdephysiotherapie begonnen. Am Anfang sei das viel "Schadensbegrenzung" gewesen, sie habe vor allem Tiere mit Problemen trainiert. Ihre Methoden hat Nina Steigerwald immer weiter entwickelt, ist über die Tiertrainerin Katja Frey aufs Clickertraining gekommen. Sie verstand, dass die Lerngesetze für alle Tiere gleichermaßen anwendbar sind, dass es immer darum geht, Positives zu verstärken und Negatives zu vermeiden. Sie nahm zuerst an Hühnerseminaren teil, in denen sie selbst einen wissenschaftlich fundierten Einsatz des Clickertrainings erlernte und später acht Jahre dann auch lehrte. Im Laufe ihrer Entwicklung als Trainerin hatte sie die Idee, die Pferde auf eine instabile Fläche zu stellen, um die Tiefenmuskulatur der Tiere zu trainieren.
Einer ihrer Schwerpunkte ist heute das Wippentraining, für das sie in langwieriger Kleinarbeit eigene Pferdewippen konstruiert und auf den Markt gebracht hat. "Dabei habe ich unzählige Sägeblätter zerschrottet", erinnert sie sich und lacht. Mindestens zehn verschiedene Varianten habe sie gebaut und durchprobiert. "Man sieht ja erst, ob es funktioniert oder nicht, wenn die Wippe fertig ist." Immer wieder hat sie Radien, Kufen und Materialien angepasst. Irgendwann war das Modell "Steigerwald" dann fertig. Heute bietet sie auf ihrer Homepage eine kostenlose Anleitung zum Nachbauen an und hat in ihrem Shop 13 verschiedene Wippentypen im Angebot.
Beim Training mit der Wippe stellt sich ein Tier nicht nur mit beiden Beinen oder nur mit den Vorderbeinen auf die Wippe, balanciert sich aus und läuft dann wieder herunter. Das wäre zu wenig. Es lernt, sich richtig zu positionieren und fließende Vor- und Zurückbewegungen zu machen. Welche Wippengröße man wählt, hänge von der Größe des Pferdes – genauer: von der Rumpflänge – aber auch vom Erfahrungsschatz des Pferdes ab. Hat es schon öfter auf der Wippe trainiert, kann eine kürzere Fläche zum Einsatz kommen. Um sich darauf zu halten, müssen die Tiere eine Vorspannung aufbauen. Das sei eine größere Herausforderung.
Das bringt das Pferdetraining mit der Wippe
Ein Wippentraining dauert bei Nina Steigerwald meistens etwa 20 Minuten, wobei das Pferd dabei nicht die ganze Zeit mit der Wippe interagiert. Es gibt auch Pausen. Geeignet ist die Wippe für alle Pferde – für Jungtiere, die das Ausbalancieren lernen sollen, für Reitpferde, die einen Ausgleich brauchen und genauso für Pferde mit einem Schaden, deren Reitkarriere beendet ist. Nur bei akuten Entzündungen solle ein Pferd nicht mit der Wippe trainieren. Auch solle man das Training nicht übertreiben, denn auch Tiere können Muskelkater bekommen. Das merke man daran, dass sie nicht so geschmeidig laufen oder empfindlich reagieren, wenn man sie anfasst. "Bisher werden die Wippen aber weniger im sportlichen Bereich genutzt", sagt Nina Steigerwald. Häufig kommen sie in der Reha zum Einsatz.
Dabei nutzen sie auch gesunden Pferden und tragen zum Muskelaufbau, zu einem besseren Körpergefühl und einer ausgeprägteren Balance bei. Auch reduziere sich das Risiko von Verletzungen bei einem regelmäßigen Wippentraining – Pferdewippen dienen also nicht nur der Schadensbegrenzung, sondern auch der Prävention. "In der Natur bewegen Pferde sich etwa 16 Stunden am Tag auf der Suche nach Futter mit dem Kopf nach unten im Schritttempo durch die Gegend", weiß Nina Steigerwald. Bei ihr, auf dem riesigen Grundstück in Südfrankreich, haben ihre Pferde jetzt reichlich Platz und viel Auslauf.
Aber: "Die meisten Pferde stehen zu viel herum. Dadurch werden ihre Gelenke nicht ausreichend geschmiert, sie sind weniger gelenkig und anfälliger für Verletzungen. Mit den Pferdewippen kann man diese ungünstigen Alltagsbedingungen aber auch Probleme wie eine Trageschwäche gut ausgleichen beziehungsweise behandeln. Trageschwäche bedeutet vereinfacht, dass der Rücken des Tieres durchhängt. Ursache dafür kann zum Beispiel das Tragen von unpassendem Sattelzeug sein. Diese Probleme sind ein wenig mit den Rückenschmerzen bei Menschen zu vergleichen, wenn sie zu lange und in schlechter Haltung am Schreibtisch saßen.
Eine Herausforderung für den Menschen beim Wippentraining sei, die verschiedenen physiologischen Punkte – Hals, Genicköffnung und die vier Beine – im Blick zu halten und die jeweils die physiologisch sinnvollen Bewegungen zu verstärken, um erste Erfolge herbeizuführen. Entwicklungen hält die Pferdetrainerin vor allem mit Vorher-Nachher-Videos fest: "Sie zeigen am besten, wie sich das Pferd bewegt oder die Hufe setzt." Manche Veränderungen sind messbar, zum Beispiel kann Nina Steigerwald mit einem Biegelineal feststellen, ob das Tier an Rückenmuskulatur zugelegt hat. Auch Fotos helfen dabei, Trainingserfolge zu überprüfen, diese sind jedoch oft schwierig als Vorher-Nachher-Bilder zu arrangieren und können täuschen.
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Erfolgserlebnisse und Herausforderungen
Einer von Nina Steigerwalds größten Trainingserfolgen war die Arbeit mit "Heri", einem Jährling, der bei einem Unfall an einem Bein schwer verletzt worden war und nur noch auf drei Beinen lief. Sie trainierte mit Heri auf der Wippe, und bereits nach wenigen Wochen lief das Pferd wieder auf vier Beinen. "Wenn man einem Tier auf diese Weise sein Leben zurückgeben kann, ist das noch viel schöner, als wenn man einfach schönes Laufen trainiert", sagt Nina Steigerwald.
Ihr ist wichtig, die Freude an der gesunden Bewegung weiterzugeben. "Auf der Pferdemesse Equitania haben mich vor einigen Jahren noch viele wie eine Irre angeschaut, als ich da mit meinen Turngeräten ankam." Auch das häufige Füttern zur Belohnung, wie sie es praktiziert, war verpönt. Mittlerweile hat sich einiges getan, auch im Pferdebereich ist Training auf der Basis positiver Verstärkung verbreiteter, wenn auch nicht ganz so verbreitet wie beim Hundetraining.
Mythen und neue Wege beim Pferdetraining
"Immer noch steckt in vielen Köpfen: Ich muss der Leader sein – oder auch: Ich will der Freund, nicht der Futterautomat des Tieres, sein." Das Füttern betrachtet Nina Steigerwald als die adäquate Kommunikation mit dem Pferd: "Ich biete dem Tier einen angenehmen, konkreten Gegenwert, dafür, dass es etwas richtig macht." Überhaupt gehe es bei ihr viel um die Feinheiten der Sprache zwischen Mensch und Tier. Unter Reiterinnen und Reitern sei dominantes Verhalten ihrer Meinung nach oft noch präsenter, weil es "ein gutes Marketing der aversiven Methoden" gebe. Damit meint sie die "Märchen" und Rechtfertigungen, die immer weiter erzählt würden, etwa: "Pferde prügeln sich schon einmal untereinander." Oder: "Pferde wollen sich unterordnen." Oder auch die ihrer Meinung nach beschönigenden Begriffe in der Ausbildung mit negativer Verstärkung.
Nina Steigerwald schüttelt den Kopf. "Die Haltung muss sich ändern, auch bei uns Menschen. Wir leben in einer Rotstiftgesellschaft. Es werden immer die Fehler gesucht. Man sollte sich viel mehr darauf konzentrieren, das zu loben, was gut läuft: Prima, das hast du gut gemacht!" Sie will viel lieber den Spaß in den Vordergrund stellen, bei Mensch und Tier. Darum ist sie auch ein großer Fan vom Agility-Training mit Pferden, einem ihrer weiteren Schwerpunkte neben dem Medical Training. "Dabei lösen das Pferd und ich gemeinsam Aufgaben, machen etwas zusammen", sagt Nina Steigerwald und strahlt. "Das ist eine Riesenfreude."