Ein bitterkalter, verschneiter Dienstagabend in Berlin. Als Petmos bei Christine Dosdall anruft, miaut Katze Mucki im Hintergrund. "Sie will raus auf den Balkon", sagt die Tiertrainerin, die "Tine" genannt wird. "Aber es ist einfach zu kalt heute." Die Temperaturen liegen unter dem Gefrierpunkt.
Dank Mucki sind wir sofort mitten im Thema: Um Mitbestimmung und Kooperation soll es heute gehen.
Denn: Wenn Tine jetzt nicht gerade mit Petmos telefonieren würde, würde sie die Balkontür öffnen, um ihre Mucki hinausblicken zu lassen. Wahrscheinlich würde die Katze dann selbst feststellen, dass es viel zu kalt ist, um draußen spazieren zu gehen und freiwillig drinnenbleiben. Aber sie hätte die Wahl gehabt. Sie hätte ihre eigene Entscheidung getroffen.
Genau darum geht es heute: Wie kann man Tiere mitbestimmen lassen? Und was bedeutet es, wenn Mensch und Tier miteinander kooperieren?
Das bedeutet Mitbestimmung bei Tieren
"Das Grundkonzept der Mitbestimmung ist, dass jeder Spezialist für seinen eigenen Körper ist", erklärt Tine. "Das gilt auch für Tiere!" Auch sie haben das Recht, eigene Interessen zu haben. Auch sie kann man fragen, was sie wollen und ihnen verschiedene Angebote machen. Ein typisches Beispiel ist das Futter: "Ich kann meiner Katze sagen: Das ist jetzt das eine Futter, das es hier gibt, und das musst du essen. Ich kann ihr aber auch einfach ein anderes anbieten, das sie vielleicht viel lieber mag." Warum sollten nur Menschen verschiedene Geschmäcker und Vorlieben haben?
Ein weiteres Beispiel aus dem Alltag: das Spazierengehen. "Ich kann meine Pferde fragen, wo sie hingehen wollen – in den Wald oder zur Reitkoppel?", sagt Tine – oder ihnen komplett die Wahl lassen, ob sie loslaufen oder lieber im Stall bleiben wollen. "Gestern Abend dachte ich zum Beispiel, die wollen bestimmt gar nicht mehr los. Es hat geregnet und es war schon dunkel. Aber sie wollten noch raus – trotz Dunkelheit. Also sind wir los."
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Das heißt aber nicht, dass Tine ihren Pferden jeden Wunsch erfüllt. Auch sie bestimmt mit und macht ihren Tieren in manchen Situationen ein anderes Angebot. Wenn sie jetzt für Mucki – die weiter miaut – mehr Zeit hätte, könnte sie ihr zum Beispiel eine andere Beschäftigung anbieten, als auf den Balkon zu gehen.
Mitbestimmung als Grundbedürfnis
"Mitbestimmung ist aber essentiell", weiß Tine. "Das Tier muss erkennen, dass sein Verhalten einen Einfluss hat, eine Funktion. Sonst ist es nutzlos." Dazu sei es wichtig, dass es sowohl im Alltag als auch im Training relevante Entscheidungen treffen darf – zum Beispiel, welches Futter es fressen will. "Es sollte die Kontrolle über das eigene Leben haben. Und je sicherer es über die Auswirkungen seines eigenen Handelns ist, desto besser gelingt die Kommunikation."
Es kann aber auch Situationen geben, in denen Tiere mit der Mitbestimmung nicht umgehen können. Tine erinnert sich an einen Vorfall mit einem Pferd: Beim Training machte sie dem Tier verschiedene Angebote, zum Beispiel mit einem großen Gymnastikball zu spielen. Von anderen Pferden war sie eine positive Reaktion gewohnt: Viele stupsten den Ball neugierig mit der Nase an, kamen auf Tine zu. Doch dieses Pferd reagierte nicht, blieb stehen. "Ich hatte nicht gesagt, was es tun sollte. Das war es nicht gewohnt."
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Zu viel kann es für ein Tier auch werden, wenn es eine zu große Auswahl an Möglichkeiten hat. Das ist dann ein bisschen so, wie wenn wir Menschen eine umfangreiche Speisekarte durchblättern, um eine Wahl zwischen Pizza, Nudeln, Fleisch, Fisch, Salat und Burger zu treffen. Oft fällt es uns dann besonders schwer, uns zu entscheiden. "Bei Tieren reicht es, zwei bis vier Möglichkeiten zur Auswahl zu stellen", sagt Tine.
Was Tiere verwirren kann: "Wenn ich kurz verschiedene Sachen anbiete, das Tier ablehnt und ich es dann einfach lasse." Auf diese "konfuse" Art und Weise habe das Tier keine Chance, durch Wiederholung das Konzept einer Wenn-dann-Beziehung zu verstehen."
Jeder hat etwas zu sagen und alle werden ernst genommen – das ist der Gedanke der Mitbestimmung, kurz auf den Punkt gebracht. Beim zweiten großen Begriff, der Kooperation, geht es laut Tine um folgenden Gedanken: Jeder hat etwas von einer bestimmten Handlung, Mensch und Tier.
Kooperation und Kooperationssignale
Ein Bereich, in dem viel mit Kooperation gearbeitet wird, ist das Medical Training. Dabei werden Tiere so trainiert, dass sie bei medizinischen Untersuchungen und Behandlungen freiwillig teilnehmen, kooperieren und sie ohne Stress erleben. Besuche bei der Tierärztin oder beim Tierarzt sind für viele Tiere erst einmal nicht angenehm – aber nötig, damit das Tier regelmäßige Kontrollen erhält oder bei einer Erkrankung oder Verletzung behandelt werden kann. "Durch die Kooperation können wir eine Tätigkeit, die wir machen müssen, angenehmer machen", sagt Tine.
Um mit dem Tier zusammenzuarbeiten, gibt es verschiedene Signale und Begrifflichkeiten:
- Kooperationssignale: Das ist der Oberbegriff für alle Signale, die die Interaktion zwischen Mensch und Tier im Kontext von potenziell unanangenehmen oder beängstigenden Situationen vorhersebar, kontrolliert und lohnenswert machen.
- Mand (engl.): Durch dieses Signal drückt das Tier seine Wünsche aus.
Beispiel: Die Katze sitzt vor der Balkontür und miaut, um dem Menschen mitzuteilen, dass sie an die frische Luft möchte. - Consent (engl.): Durch dieses Signal drückt das Tier sein Einverständnis aus.
Beispiel: Der Mensch streichelt eine Katze, hält kurz inne und wartet ab, was die Katze macht. Kommt sie auf den Menschen zu, möchte sie weiter gestreichelt werden. Wendet sie sich ab, ist sie gerade nicht einverstanden. - Standardverhalten: Dieses Verhalten zeigt das Tier in offenen Situationen. Das kann beim Hund zum Beispiel das Liegen sein, beim Training mit einem Pferd das Laufen. Dieses Verhalten drückt ruhiges Abwarten, Aufmerksamkeit und Fokus aus, bevor eine Änderung eintritt. Es wird auch als die kleinste Verhaltenseinheit betrachtet.
- Start- und Stoppverhalten: Das Tier zeigt an, ob es mit einer Tätigkeit beginnen möchte oder auch mit einer Tätigkeit aufhören will.
Beispiel: Die Trainingsdecke wird ausgebreitet. Die Katze setzt sich darauf – es kann losgehen mit dem Training. Die Katze geht weg – sie will mit dem Training aufhören.
"In das Standardverhalten gehe ich immer gerne zurück, wenn wir uns im Training mal vertüddelt haben", sagt Tine. Das schaffe Klarheit, Ruhe, Aufmerksamkeit für einen Neustart. Und sie geht noch einen Schritt weiter: "Auch wir als Menschen schulden unseren Tieren ein zuverlässiges Standardverhalten." Wenn sie in einer Trainingspause am Rand steht und am Handy herumspielt, winkelt sie demonstrativ ein Bein an. Nimmt also eine lässige Körperhaltung an, die dem Pferd signalisiert: Die Aufmerksamkeit liegt gerade nicht bei dir. Geht es mit dem Training weiter, nimmt Tine wieder Körperspannung an und verdeutlicht somit, dass es weitergehen kann. "Auch für Tiere sollte unser Verhalten vorhersehbar sein", meint sie.
Bei der Kooperation spielt die Kommunikation eine große Rolle. Oft können Menschen bereits an kleinen Anzeichen beobachten, was ein Tier möchte, so Tine. Wenn sie diese Anzeichen wahrnähmen, sei schon viel erreicht. Ein Beispiel aus Tines Erfahrung sind die verschiedenen Reaktionen von drei Shetland-Ponys auf eine Schermaschine: Das eine lief weg, als die Maschine anging, das zweite ging darauf zu, das dritte senkte den Kopf. Durch Beobachtungen wie diese könne man darauf schließen, wie Tiere in bestimmten Situationen reagieren.
So kann man Kooperation fördern
Im Training wird Kooperation dann durch bestimmte Methoden gefördert. Ein Beispiel:
Eine Katze soll für Tierarztbesuche lernen, sich auch an Stellen anfassen zu lassen, an denen sie es als unangenehm empfindet. Im ersten Schritt kann sich der Mensch bewusst machen, an welchen Stellen die Katze gerne gestreichelt wird. Hier beginnt das Training: Der Mensch streichelt die Katze fünf Sekunden an der Stelle und gibt ihr ein Leckerli. Das wiederholt er öfters. Im nächsten Schritt tastet der Mensch sich auch zu den unangenehmen Stellen vor und streichelt dort für fünf Sekunden. Da die Katze gelernt hat, dass das Streicheln schnell vorbei ist und danach eine Belohnung winkt, beginnt sie zu kooperieren. "Wichtig ist dabei nur, dass der Mensch sich weiter an die Regeln hält und immer schrittweise vorgeht", sagt Tine. Presche man zu sehr voran und setze sich wieder über die Entscheidungsfreiheit des Tieres hinweg, sei nichts gewonnen.
"Manchmal sind Menschen kurz davor, einem Pferd eine Spritze geben zu können", berichtet Tine. "Dann wird ein Impftermin mit der Tierärztin oder dem Tierarzt vereinbart, doch beim Einstechen der Spritze zeigt das Pferd deutliche Anzeichen von Unwohlsein: Stress, Angst. Auch wenn man vielleicht gerne die Behandlung beenden den Termin hinter sich bringen möchte, ist es besser, die Spritze noch einmal herauszuziehen und nach einer weiteren Trainingseinheit neu anzusetzen, statt das Pferd mit Gewalt zu fixieren und den Trainingsfortschritt zu gefährden." Wenn möglich, sollte das Tier auch hier freiwillig entscheiden und nicht gezwungen werden.
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Das sind die Vorteile von Kooperation
An diesem Beispiel wird schnell klar, was Kooperation bewirken kann: "Sie minimiert die Verletzungsgefahr, steigert die Sicherheit und fördert das Tierwohl." Wenn ein Tier kooperiert, werden selten weitere Eskalationsstufen beschritten. Durch die Kommunikation zwischen Mensch und Tier besteht außerdem eine gute Trainingsbasis. "Mein Pferd schaut beim Grasen immer wieder kurz zu mir hinüber", sagt Tine. "Es schaut, ob ich ihm ein Angebot mache."
Und auch der Mensch sieht, was das Tier anbietet und sich wünscht. "Manchmal kommuniziert es seine eigenen Ideen oder unternimmt eine besondere Anstrengung", sagt Tine. "Es hat auch die Möglichkeit, kreativ zu sein. Und durch Kreativität entsteht Entwicklung." Darüber freue sie sich besonders.
Erst einmal basiert aber vieles auf Routinen, mit denen der Alltag für die Tiere vorhersehbarer wird, sie aber gleichzeitig auch in neuen Situationen klarkommen. "Ich kann zum Beispiel mit meinem Pferd immer von Gartentor zu Gartentor laufen", sagt Tine. "Das ist dann egal, wo ich das mache. Das Pferd kennt das Konzept und wiederholt es auch an neuen Orten." Dabei ist aber die Balance zwischen Perfektion und Flexibilität zu halten: "Eventuell ist es ratsam, im Training weniger perfekt und lieber etwas unsauber zu sein, damit das Tier in verschiedenen Situationen flexibel, resilient bleibt." Auch achte sie beim Training darauf, zukunftsorientiert zu arbeiten und mit ihren Pferden auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die auch für andere Tierbesitzerinnen passen könnte – falls sie die Tiere mal abgeben muss. Auch darin sieht Tine ihre Verantwortung als Mensch gegenüber den Tieren.
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Katze Mucki hat auch nach einer Stunde nicht vergessen, dass sie noch einmal auf den Balkon wollte. Hinzu kommt, dass Frauchen nun schon ziemlich lange am Handy hängt. Nach dem Gespräch will Tine für Mucki die Balkontür öffnen, damit die Katze hinausschauen kann. So kann sie sich selbst ein Bild von den Temperaturen machen und eine eigene "informierte Entscheidung" treffen.