Als Calimero bei Astrid Sperlich einzog, lief es zunächst gar nicht gut: Der sibirische Husky mochte keine anderen Hunde und dafür das Jagen umso lieber. Astrid Sperlich besuchte mit ihm eine Hundeschule, aber auch dort hatten Hund und Mensch keinen guten Start. "Mein Hund war überfordert. Er verlor den Glauben in mich", erzählt die Hundetrainerin aus Amfing im Landkreis Mühldorf am Inn heute. "In der Hundeschule wurde mir außerdem signalisiert, dass es meine Schuld sei. Ich sollte Maßnahmen ergreifen, die ich lieber nicht ergreifen wollte." Verzweifelt verließ sie das Training.
Die positive Wendung brachte schließlich ein Geschenk von Freunden: Astrid Sperlich und ihr Calimero bekamen einen Gutschein für einen Mantrailing-Workshop. "Dein Hund wird das großartig machen", sagten ihre Freunde. "Du wirst sehen, was für ein Held in ihm steckt." Und so sollte es dann auch sein.
Das Jagen, das Vorangehen, das selbstbestimmte Verhalten – alles, was in der Hundeschule "falsch" gewesen war, war im Mantrailing plötzlich Gold wert. Zum ersten Mal konnte Calimero eine Aufgabe schneller umsetzen als die anderen Hunde. Er fand Spaß an der Zusammenarbeit. "Und ich bekam in unserer Beziehung wieder einen Fuß in die Tür", sagt Astrid Sperlich. Sie lernte die besonderen Eigenschaften ihres Hundes zu schätzen. Zusammen fanden sie zurück zu einer kooperativen Basis. Auch auf den Alltag wirkte sich das Mantrailing-Training entspannend aus: Calimero machte es nicht mehr so viel aus, wenn andere Hunde seinen Weg kreuzten.
Von der begeisterten Mantrailerin zur Hundetrainerin
"Ein neues Bild überschrieb meine schlechten Erinnerungen", sagt Astrid Sperlich heute. Für sie wurde aber noch viel mehr daraus. Sie war so begeistert vom Mantrailing, dass sie und Calimero weitermachten. Doch: Mit der Zeit veränderte sich das Training. Ihre damalige Trainerin wollte einige Ziele durchsetzen und Leistungen abrufen, bei denen Calimero nicht mitspielen wollte. Astrid Sperlich hörte wiederum mit dem Training auf – und auch diesmal kamen ihre Freunde ins Spiel. Sie rieten ihr: "Mach doch selbst eine Hundetrainerin-Ausbildung!" Daran hatte sie vorher nie gedacht, aber: Sie setzte diese Idee in die Tat um und besuchte zahlreiche Weiterbildungen im Hundetraining und Mantrailing. Mittlerweile ist Astrid Sperlich nicht nur Trainerin für Mantrailing als Enrichment, sondern bildet für den IBH – den Internationalen Berufsverband der Hundetrainer:innen und Hundeunternehmer:innen" – auch Hundetrainer als Mantrailing-Trainer aus.
Positives Tiertraining: Was ist das eigentlich genau?
Wie läuft ein Mantrailing-Training bei ihr ab? "Wir kommen in einer kleinen Gruppe von meistens drei bis vier Menschen und vier Hunden zusammen", berichtet Astrid Sperlich. Die Aufgaben habe sie sich vorher schon überlegt. Vor dem Training erkundige sie sich noch nach Besonderheiten – Ist irgendwas anders als sonst? Hat der Hund aktuell eine Belastung oder Beeinträchtigung? Frisst er schlechter? – , um die Trails eventuell noch spontan anzupassen. Dann geht es los: Astrid Sperlich bringt die Zielperson ans Ziel, kommt zurück an den Startpunkt und begleitet dann das Mensch-Hund Team auf dem Trail, vom Start bis zur Zielperson. Dabei macht die Besitzerin oder der Besitzer immer den Trail mit ihrem oder seinem Hund zusammen. Zielperson ist dann einer der anderen Teilnehmer und nie seine Bezugsperson. Grund dafür: "Das Tier sollte nie aus Sorge, sondern aus Freude suchen." Das Training dauert circa zwei Stunden. Insgesamt acht Trails laufen sie in der Zeit, zwei pro Team.
"Ganz wichtig ist, dass jedes Tier das Training mit einem Erfolgserlebnis beendet", sagt Astrid Sperlich. Für den äußerst seltenen Fall, dass ein Trail aufgrund äußerer Umstände mal nicht erfolgreich beendet werden kann, wird am Ende des Trails noch ein kurzer, sicher erfolgreich verlaufender Trail angehängt. Neuen Teilnehmern legt Astrid Sperlich nahe, beim ersten Mal ohne den eigenen Hund und nur als Zielperson teilzunehmen. Voraussetzung sei, dass sie sich gerne draußen bewegen und Geduld und einen gewissen Gemeinschaftssinn mitbrächten. Besonders wertvoll und lehrreich findet Astrid Sperlich es, wenn Menschen auch gerne die Trails der anderen Teams beobachten.
Agility und Co.: Welcher Hundesport passt zu dir und deinem Hund?
Was unterscheidet Mantrailing als Enrichment von anderem Mantrailing?
Beim Mantrailing als Enrichment geht es nicht darum, in kurzer Zeit möglichst viele Leistungsziele zu erreichen. Hier gilt: Der Weg ist das Ziel. "Wir wollen von der ersten bis zur letzten Minute ein tolles Erlebnis für Hund und Mensch kreieren", sagt Astrid Sperlich. Dabei kann der Hund seine Bedürfnisse befriedigen: eine Spur verfolgen, dem Menschen vorauslaufen, am Ende eine besonders tolle Belohnung bekommen. Er soll sich auf dem gesamten Trail gut fühlen. Daher ist auch völlig okay, wenn der Hund mal am Wegesrand schnüffelt oder stehen bleibt. "Wir versuchen dann zu verstehen, warum er das macht und die Spur nicht weiterverfolgt." Ist das Gelände zu anspruchsvoll? Gruselt er sich vor entgegenkommenden Menschen? Oder hat er seine Aufgabe noch nicht verstanden? Dann wird nach einer Lösung gesucht, damit der Hund wieder mit Freude und Konzentration den Trail macht.
"Das Erlebnis sollte immer an ein sinnvolles Training gekoppelt sein", sagt Astrid Sperlich. "Der Hund sollte seine Spur sicher verfolgen und wissen, was er tut." Auch sollte er wissen, dass er durch das Verfolgen der Spur sicher an seine Belohnung kommt. Druck oder Konkurrenzdenken seien hier fehl am Platz. "Der Hund soll sich freuen, wenn er die Zielperson findet, und nicht erleichtert sein." Sein Erregungszustand beim Training sollte nicht mit negativen Emotionen gekoppelt sein. Auch legt Astrid Sperlich viel Wert auf die Gesundheit, dazu gehören zum Beispiel gut sitzende Geschirre, die die Bewegung nicht einschränken. Der wertschätzende Umgang betreffe aber nicht nur das Tier, sondern auch den Menschen: Auch er sollte nicht unter Druck stehen, sondern Freude an der individuellen Entwicklung des Tieres haben. Astrid Sperlich: "Das Team ist als Ganzes erfolgreich, wenn die Emotionen gut sind."
Woran erkennt man Mantrailing als Enrichment?
Ob es beim Training um das gemeinsame Erlebnis und die Freude am Spuren verfolgen geht, kann man laut Astrid Sperlich an den Rahmenbedingungen beim Mantrailing ablesen: Beim Training als Enrichment gibt es individuell gelegte und somit auf die Teilnehmer abgestimmte Trails. Auch ist das Training offen gestaltet: Jeder kann sich frei zu einer Gruppe anmelden und selbst entscheiden, an welchem Training er mit seinem Hund teilnehmen möchte – ob er sich ein Mantrailing in der Innenstadt schon zutraut oder vielleicht lieber im Wald trainiert.
Bei Astrid Sperlich trainieren keine Hunde, die in Mantrailing-Einsätze gehen sollen – auch wenn einige von ihnen das könnten. "Wer das mit seinem Hund möchte, geht besser zu Hilfsorganisationen", sagt sie. Dort stehen auch die technische Ausrüstung und das Know-how für Mantrailing-Einsätze zur Verfügung. Allerdings kommen bei ihr ab und zu Tiere zum Training dazu, die bei Einsatzstaffeln aufhören. "Das passiert zum Beispiel, wenn sie beim Mantrailing zu viel mit negativen Emotionen verbundene Erregung zeigen", berichtet sie. Für manche sei es dann Zeit, aufzuhören oder unter weniger Leistungsdruck weiterzumachen.
Mantrailing für Hunde mit besonderen Herausforderungen
Ausdrücklich willkommen sind in ihrer Hundeschule auch Tiere mit besonderen Herausforderungen – wie Calimero und ihre zweite Hündin Nelly es waren. "Gerade Menschen, die mit ihren Hunden im Alltag viele Baustellen haben, finden wenige passende Gruppenangebote", weiß Astrid Sperlich. Sie freut sich, wenn sie sieht, wie diese Hunde beim Mantrailing plötzlich in ihrem Element sind und auch ihre Menschen wieder Zuversicht schöpfen.
Auch Nelly, die als Tierschutzhündin schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hatte, veränderte ihr Verhalten durch das Mantrailing. Vorher erstarrte sie und fror auf dem Boden ein, wenn sie Menschen begegnete. Oder sie floh.
Beim Mantrailing lernte sie, dass die Anwesenheit – auch wildfremder – Menschen Spaß machen kann. Besonders in Erinnerung ist Astrid Sperlich eine Situation geblieben: Bei einer Mantrailing-Aufgabe stand die Zielperson nicht, sondern war selbst in Bewegung – eine besondere Herausforderung. "Aber auch Nelly schmiss sich ihrer Zielperson vor die Füße, um diese zu stoppen und den Jackpot, die Belohnung, zu bekommen", erzählt Astrid Sperlich. "Zwei Jahre zuvor verfiel sie noch in einen Freeze-Zustand, wenn sie Menschen traf."
Mantrailing kann bei Hunden mit besonderen Herausforderungen viel bewirken. Aber Astrid Sperlich sagt auch: "Das Trailen ersetzt kein Hundetraining." In festgefahrenen Fällen helfe es aber oft, einen Neuanfang zu finden und schließlich wieder ins Alltagstraining einzusteigen. Anstatt immer nur an den Baustellen zu arbeiten, sammeln die Teams positive Erfahrungen. "Manchmal steigen dann auch weitere Familienangehörige wieder mit in den Trainingsprozess ein", sagt Astrid Sperlich. Weil sie wieder das Gute im Hund sehen. Sich mit ihm verbunden fühlen.
Ein Mantrailing sei auch mit Maulkorb möglich. Auch alte Tiere oder Tiere mit einem Handicap seien willkommen. Nicht geeignet sei Mantrailing für Hunde, die schon ohne Belastung Probleme mit der Atmung haben. Für Hunde, die ursprünglich fürs Stöbern gezüchtet worden seien, sei Mantrailing oft schwierig: "Da müssen wir sehr kleinschrittig vorgehen", sagt Astrid Sperlich. Für sie sei ein Dummytraining manchmal besser geeignet.
Apportieren: Sabine Schinner über Tricks und Tücken beim Dummytraining
Mantrailing kann auch für Menschen ohne Hund interessant sein
Was viele nicht wissen: Auch wer selbst keinen Hund hat, kann am Mantrailing teilnehmen. Oft sind die Gruppen dankbar, wenn Menschen dazukommen, die sie als Zielpersonen einsetzen können. Wer also gerne draußen in einer Gruppe etwas unternimmt, könne sich anschließen. Der Vorteil: Man kommt in Kontakt mit Hunden, auch wenn man sich selbst keinen anschaffen möchte. Oder: Man findet heraus, ob ein eigener Hund das Richtige für einen sein könnte.
Nachgefragt beim Tierheim Berlin: So wirst du ehrenamtlicher Gassigeher