Wie ist es, wenn ein Hund seinen ersten Schultag hat? "Dann sind alle sehr aufgeregt", sagt Anja Helling vom PfotenHafen – der Hund, die Schülerinnen und Schüler, auch die Lehrerin oder der Lehrer. "Die Kinder nehmen sich am Anfang sehr zurück. Sie wissen, dass es ein ganz wichtiger Tag für den Hund ist. Und sie wollen einen guten Eindruck machen." Denn nur wenn sie sich an die Regeln halten und darauf achten, dass es dem Hund in der Klasse gut geht, kann er wiederkommen.
Ein Hund in der Schule – was bringt es den Schülern?
Über sieben Jahre ist Anja Helling mit ihrem Border Collie Käpt'n Jack zur Schule gegangen. Sie war als Lehrerin an einer Hamburger Stadtteilschule tätig, bis sie in einen Sonderurlaub ging und sich voll und ganz dem Hundetraining und der Ausbildung von Schulhunden widmete. Sie übernahm die Ausbildung für ColeCanido am nördlichen Standort in Barsbüttel. Aus ihrer langen Erfahrung mit dem Käpt'n und ihren Schülern weiß sie, was Kinder und Jugendliche durch Hunde lernen können. "Ein messbarer Punkt ist, dass es in meiner Klasse immer sauber war", erzählt sie. "Wenn der Käpt'n zu Besuch kommen sollte, haben sie immer alles weggeräumt, damit dem Hund nichts passieren kann." Egal, wer die Papierkügelchen durch den Raum geschmissen hatte – die Schüler hätten alle möglichen Gefahren beseitigt. Sie lernten, für andere Verantwortung zu übernehmen.
Auch entwickelten sie ein Bewusstsein dafür, dass Tiere fühlende Lebewesen sind. Dazu fällt Anja Helling auch ein konkretes Beispiel ein: "Wir hatten an der Schule ein Projekt zum Thema Gewaltprävention in Zusammenarbeit mit Sozialpädagogen. Dabei wurden verschiedene Fälle von Jugendkriminalität vorgegeben und die Schüler sollten einschätzen, welche Fälle Straftaten sind." Bei dem Fall eines am lebendigen Leibe angezündeten Kaninchens war sich ihre Klasse einig: Das musste eine Straftat sein. Umso empörter waren die Schüler, als sie hörten, dass ein Kaninchen als Sache gewertet wird. Die Sozialpädagogen waren überrascht und erzählten Anja Helling, dass ihre Klasse die erste Gruppe war, in der es keine Diskussion um diesen Fall gegeben hatte. Anja Helling ist sich sicher, dass Schulhund Käpt'n Jack der Grund dafür ist.
Weitere Vorteile von Schulhunden
Diese beiden Beispiele führten der Lehrerin deutlich und messbar vor Augen, was sich in ihrer Klasse mit dem Käpt'n änderte. Aber es gibt noch viele weitere Vorteile, wenn ab und zu ein Hund mit im Unterricht ist: Zwischen Lehrern und Schülern entsteht eine andere Beziehung, weil der Lehrer ein Familienmitglied mit in die Schule bringt. Der Lehrer kommt auf dem Schulhof mit Kindern ins Gespräch, die auch einen Hund zu Hause haben, und hat somit zu vielen Schülern Kontakt. Der Hund geht auf Kinder zu, die Außenseiter sind oder Schwierigkeiten beim Lernen haben, aber vielleicht besonders gut mit Tieren umgehen können. Die Schüler werden selbstbewusster. Die Klassengemeinschaft verbessert sich.
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Ein großes Thema sei auch die Gewaltprävention. "Gewalt fängt bei Tieren an", weiß Anja Helling. Das beginne bei Beleidigungen wie "Du Hund" oder "Du Affe" und könne über das Quälen von Tieren zu Gewalt an Menschen führen. "Wenn Kinder verstehen, dass auch Tiere Emotionen und Schmerzen haben, lernen sie, auf Augenhöhe mit ihnen umzugehen." Das helfe auch für den friedlichen Umgang untereinander.
Was muss ein Hund können, wenn er in die Schule kommt?
Die Schüler, aber auch der zukünftige Schulhund sollten gut auf seinen Einsatz im Unterricht vorbereitet werden. Viel zu oft passiere es noch, dass Hunde einfach so ohne Vorbereitung mit in die Schule genommen würden, sagt Anja Helling. Auch sollten Pädagogen einen Schulhundeinsatz im Vorfeld mit der Schulleitung, dem Kollegium und den Eltern abstimmen, um möglichen Ärger zu vermeiden. "In jedem Kollegium gibt es jemanden, der Angst vor Hunden hat", sagt Anja Helling. Anja Helling hatte Glück: Ihr Schulleiter war sehr offen gegenüber der Idee, dass sie ihren Hund als Schulhund ausbilden lassen wollte. 2013 zog der Käpt'n bei ihr ein und wurde wenig später "eingeschult". Mittlerweile bildet sie selbst Hunde zu Schulhunden aus.
Mehr über die Ausbildung von Schulhunden: Verein "Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V."
Für Anja Helling steht das Wohlbefinden der Tiere im Mittelpunkt. Ein bedürfnisorientierter Umgang ist ihr wichtig. Ihre Schulhundeausbildung besteht aus fünf Präsenzseminaren, einem Onlineangebot und einer Beurteilung des Mensch-Hund-Teams nach jedem Seminar. Zum Abschluss der Ausbildung gibt es ein Zertifikat. Staatlich anerkannt ist die Ausbildung allerdings nicht. Manchmal wird sie von Schulen (mit-)finanziert. Aber das ist eher selten.
"Bevor der Hund in die Ausbildung kommt, muss er gar nicht viel können", sagt Anja Helling. "Wichtig ist, dass der Hund in neuen Situationen gute Emotionen hat." Damit erst gar kein Stress oder Konfliktsituationen entstehen, sollte der Hund nicht vor dem ersten Seminar mit in die Schule gehen. Erst sollten die Besitzer das nötige Wissen für das weitere Training erwerben. Ein Marker- und ein Umorientierungssignal sollte der Hund bereits vor der Einführung in die Schule kennen.
So gewöhnt sich der Hund an die Schule
In Anja Hellings Seminaren lernen die Lehrerinnen und Lehrer theoretische Grundlagen und praktische Kenntnisse für den Unterrichtseinsatz. "Zum Beispiel gebe ich den Teilnehmern Werkzeuge an die Hand, wie sie ihren Hund in typischen Schulsituationen unterstützen können", sagt Anja Helling. Ein Beispiel: Oft müssen die Tiere dort an vielen Menschen vorbei durch volle Gänge gehen. Hier hilft es, dem Hund zu vermitteln, dass ein Ende der schwierigen Situation in Sicht sei und das Gehirn ein wenig von den vielen äußeren Reizen abzulenken.
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Vor dem ersten Schultag sollte der Hund langsam an die Schule gewöhnt werden. "Er sollte die Schule kennenlernen – zunächst ohne Lehrer und Schüler", sagt Anja Helling. Auch das Gebäude mit glatten Fußböden, vielen Treppen und Geländern und oft sehr großen Fensterscheiben sei für das Tier voller fremder Reize. Hinzu kommen dann später die Menschen, die Schulglocke, kurzum: die typische Lärmkulisse einer Schule. Parallel dazu könne man die Schüler auf den Hund vorbereiten und ihnen die Regeln für den Umgang mit dem Tier beibringen: Dass nur jeweils ein Schüler den Hund anfassen und streicheln darf. Wo sie das Tier anfassen können und wo nicht. Und dass der Hund auf seinem Ruheplatz wirklich in Ruhe gelassen und nicht angefasst wird. Vor dem ersten Tag in einer Klasse empfiehlt Anja Helling, den Hund schon einmal mit kleinen Gruppen in Kontakt zu bringen.
Wie oft kann ein Schulhund am Unterricht teilnehmen?
Ein Schulhund geht nicht wie Kinder und Lehrer jeden Tag in die Schule. "Er kommt vielleicht an ein bis zwei Tagen in der Woche mit", sagt Anja Helling. "Und dann bleibt er auch nicht den ganzen Tag, sondern ein bis zwei Schulstunden." Es komme aber auch etwas auf das Tier an, wie robust es sei und wie gut es an Schuleinsätze gewöhnt sei. Auch das Alter der Schüler spiele eine Rolle: "In einer Oberstufe kann ein an die Schule gewöhnter Hund vielleicht auch mal drei Tage in der Woche mitgehen." In einer siebten oder achten Klasse sei das etwas anderes. Idealerweise sei bei den ersten Schulstunden eines Hundes eine zweite Aufsicht führende Person in der Klasse. Auch sei es von Vorteil, wenn der Hund in der Schule einen kleinen Ruheraum haben könnte. "Wenn die Grenzen dann mal erreicht sind, weil es zum Beispiel zwischen Schülern zu Handgreiflichkeiten kommt, kann man ihn in seine Box schicken und so aus der Situation herausnehmen."
Für die Lehrerin, den Lehrer sei es – das dürfe man nicht vergessen – eine zusätzliche Belastung, den Hund mit in die Schule zu nehmen. "Gerade am Anfang muss man den Schülern viel erklären und darauf achten, dass sie sich an die Regeln halten", sagte Anja Helling. Auch mache man sich verletzbar, weil man ein Familienmitglied mit in die Schule bringe und somit Einblick in sein Privatleben gebe. Vor allem müsse man ein geschultes Auge für die Stresssignale des Hundes haben. Denn: Man müsse unterrichten und gleichzeitig auf das Tier achten. Mit der Zeit werden die Schüler routinierter im Umgang mit dem Tier. Auch lernten sie, den Hund aus kritischen Situationen herauszuholen. Wenn die Tische für eine Gruppenarbeit verschoben werden müssen, warten sie, bis das Tier an seinem Ruheplatz sei und beginnen dann mit dem lauten Tische-und-Stühle-rücken. Am Anfang müssten sie das Verhalten in diesen Situationen erst genau erklärt bekommen. Später werde es zum "Selbstläufer".
Wenn alles gut läuft, profitiere auch der Hund: "Mein Käpt'n wird supergerne gestreichelt", erzählt Anja Helling. "Für ihn war es toll, von Tisch zu Tisch zu laufen und sich von den Schülern streicheln zu lassen. Und wenn einer keine Lust mehr hatte, ging er einfach zum nächsten." Diesem großen Streichelbedürfnis hätte sie allein gar nicht nachkommen können.
Prävention von Beißvorfällen durch Schulhunde
"Es wäre gut, wenn es mehr Mensch-Hund-Teams mit einer fundierten Ausbildung an Schulen geben würde!" Das ist für Anja Helling keine Frage. Einen großen Vorteil sieht sie auch darin, dass Kinder und Jugendliche früh den richtigen Umgang mit Hunden lernen. "Das dient letztendlich auch der Prävention von Beißvorfällen", sagt sie. Die meisten Beißvorfälle passierten in Familien und meistens würden Kleinkinder gebissen. "Durch Schulhunde lernen die Kinder auch, dass Hunde eine andere Körpersprache haben, dass man sie besser nicht umarmt oder küsst", sagt Anja Helling. Durch den richtigen Umgang mit einem Schulhund könne gefährlichen Situationen daheim vorgebeugt werden. Manche Schüler profitieren vielleicht auch viel später noch von ihrem Wissen aus der Schulzeit – weil sie sich als Erwachsene selbst einen Hund anschaffen.
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