Die Menschen trauen sich wieder was, gehen selbst einkaufen oder ins Kino: Ein Assistenzhund kann psychisch Erkrankten oder Menschen mit Behinderung mehr Sicherheit und ein neues Selbstbewusstsein geben. Aber nicht nur das. In schwierigen Situationen können die Tiere Helfer oder sogar Lebensretter sein.
Miriam Arndt-Gabriel bildet seit über fünf Jahren Menschen mit ihren Assistenzhunden aus. Die Hundetrainerin aus der kleinen Gemeinde Auggen im Schwarzwald war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, als eine Kundin sie ansprach: Die Frau hatte bereits einen Assistenzhund gehabt, der aber alt geworden war. Sie wollte einen neuen Hund haben und suchte jemanden, der das Tier ausbildete. "Das war ein guter Einstieg", sagt Miriam Arndt-Gabriel heute. "Die Kundin wusste schon, wo es beim Training hingehen sollte." Mittlerweile hat Miriam Arndt-Gabriel viel Erfahrung in der Ausbildung von Assistenzhunden – und kann auch mit einigen Vorurteilen gegenüber den Tieren und ihren Frauchen und Herrchen aufräumen.
Welche Tiere kommen als Assistenzhunde infrage?
"Traditionell wird meistens ein Labrador genommen", sagt die Trainerin. Aber als Assistenzhunde kämen auch andere Rassen infrage. "Ich bin ja der Meinung, dass sich jeder Mensch seinen Hund selbst aussuchen sollte, das gilt auch für Assistenzhunde. Aber gut trainierbar müssen sie natürlich sein." Nicht zugelassen für die Ausbildung sind Tiere, die auf der Kampfhundliste stehen. Auch Hunde mit Herdenschutzausbildung sind nicht erlaubt.
Miriam Arndt-Gabriel trainiert vor allem Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen, Autisten oder Menschen mit Posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS). Verbunden mit PTBS sind häufig Dissoziationen. Das sind Zustände, bei denen psychische Funktionen, die normalerweise zusammenhängen, auseinanderfallen. Der Mensch erstarrt häufig, kann nicht mehr sprechen. Einige von Miriam Arndt-Gabriels Kundinnen und Kunden – vor allem sind es Frauen, die sie ausbildet – haben noch eine weitere Erkrankung oder Behinderung, sitzen zum Beispiel im Rollstuhl. Sie sind auf die Unterstützung ihrer Tiere angewiesen. Auf keinen Fall sollte der Hund da besondere Herausforderungen mit sich bringen, aggressiv sein oder etwa einen Hang zum Jagen haben.
Die Optik und Größe des Tieres kann für einige Menschen ein Kriterium bei der Auswahl sein. "Das Aussehen, vor allem der Zustand des Fells, spielt vor allem für Autisten eine Rolle. Sie mögen oft ganz kurzes oder richtig wuscheliges Fell", weiß Miriam Arndt-Gabriel. Soll ein Hund auch Führungsaufgaben übernehmen – also zum Beispiel einen Menschen aus einer Menschenmenge herausführen – brauche er eine gewisse Größe. Ein kleiner Hund sei da nicht geeignet.
Wobei können Assistenzhunde ihre Menschen unterstützen?
Assistenzhunde können ihren Menschen in vielen Situationen helfen:
- Sie können im Notfall reagieren – auf einen Knopf drücken, ein Handy holen oder sich beruhigend auf den Menschen legen. Das nennt man "Deep Pressure Therapy".
- Sie können ihr Frauchen oder Herrchen aus einer Menge herausführen, zum Ausgang, zum Auto oder nach Hause bringen.
- Sie können anzeigen, wenn sich bei einem Menschen zum Beispiel ein Krampfanfall anbahnt. So kann er sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, sich hinsetzen oder jemandem Bescheid sagen.
- Sie können dem Menschen durch Anstupsen, Anlecken oder Anspringen helfen und verhindern, dass er in eine Dissoziation fällt.
- Sie können Sicherheit geben, indem sie sich zum Beispiel quer hinter ihren Menschen stellen. So können andere ihm nicht nahekommen, ihn nicht bedrängen.
Nicht zu unterschätzen: Der Hund unterstützt den erkrankten Menschen oder Menschen mit Behinderung auch einfach dadurch, dass er da ist und ihm im Alltag Sicherheit und Selbstbewusstsein gibt.
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Was müssen Assistenzhunde können?
Was ein Assistenzhund können muss, ist nach der Assistenzhundeverordnung geregelt. Absolute Voraussetzung ist eine sehr gute Grunderziehung – dazu gehört zum Beispiel, dass der Hund gut an der Leine geht oder kommt, wenn der Mensch ihn ruft. Zweitens muss er in der Lage sein, sich in öffentlichen Räumen so zu verhalten, dass er nicht stört, also zum Beispiel in einem Geschäft ruhig bleibt und sich an einen Platz legt, an dem er nicht im Weg ist. Schließlich dürfen Assistenzhunde ihre Menschen an viele Orte begleiten – in die Metzgerei, ins Kino, ins Krankenhaus. "Als Faustregel sagt man: Die Hunde dürfen überall mit hin, wo Menschen mit Straßenschuhen unterwegs sind." Dabei sollten sie anderen Leuten aber nicht zur Last fallen. Drittens sollen die Tiere ihre Besitzerinnen oder Besitzer durch mindestens fünf spezielle Assistenzleistungen unterstützen können – also etwa durch das Anzeigen eines bevorstehenden Krampfanfalls oder das Beruhigen durch die Deep Pressure Therapy.
Welche rechtlichen und finanziellen Hürden gibt es?
Die Assistenzhundeausbildung ist teuer – sie kostet zwischen 10.000 und 20.000 Euro (ohne die Anschaffung, Tierarztkosten und Futter) – auch gibt es einige rechtliche Hürden zu nehmen. Nach dem Behindertengleichstellungsgesetz darf heute niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Menschen mit Behinderung soll die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglicht werden. Das bedeutet auch, dass verschiedene Arten von Behinderung gleichwertig behandelt werden sollten. "Tatsächlich ist es aber bisher so, dass die Krankenkassen nur Blindenführhunde bezahlen", sagt Miriam Arndt-Gabriel. Oft gebe es aber die Möglichkeit, den Hund über die Eingliederungshilfe bei den Landkreisen zu finanzieren. "Aber auch das ist je nach Landkreis sehr unterschiedlich: Manche Landkreise übernehmen die Kosten für alles: Hundehaltung und Ausbildung. Manche bezahlen nur einen Teil." Weitere Möglichkeiten seien Stiftungen wie zum Beispiel der Fonds Sexueller Missbrauch oder das Sammeln von Spenden über Fundraising-Plattformen. Einen Kostenvoranschlag gibt es nach dem ersten Gespräch mit der Ausbilderin oder dem Ausbilder.
Bevor der Hund zugelassen wird, muss er eine Gesundheitsprüfung bestehen. "Wenn man einen Welpen zum Assistenzhund ausbilden will, bringt das ein gewisses Risiko mit sich", sagt Miriam Arndt-Gabriel: Welpen dürfen die Gesundheitsprüfung erst mit 15 Monaten machen. Bestehen die Tiere die Prüfung dann nicht, eignen sie sich nicht als Assistenzhunde.
Menschen mit Assistenzhunden müssen 60 Stunden Assistenzhundetraining absolvieren. Sie investieren viel Zeit in die Ausbildung. Am Ende müssen Mensch und Tier eine umfangreiche Prüfung bestehen. "Meistens dauert die Ausbildung zwei Jahre, eher länger", sagt Miriam Arndt-Gabriel. Denn bei Menschen mit psychischer Erkrankung oder einer Behinderung komme es durch Klinikaufenthalte zu Unterbrechungen. "Im Prinzip gibt es da aber keinen Unterschied zu anderen Hundebesitzern: Jeder kann sich ein Bein brechen und ins Krankenhaus kommen. Daher sollte auch jeder einen Notfallplan haben und einen Kontakt, wo das Tier übergangsweise untergebracht werden kann." Assistenzhunde dürften grundsätzlich aber mit in die Klink. "Sinnvoll ist das aber nicht immer", sagt Miriam Arndt-Gabriel.
Welche Besonderheiten bringt das Assistenzhundetraining mit sich?
"Die Tiere müssen gut und zuverlässig sein", sagt Miriam Arndt-Gabriel. "Die Hunde sollten also alle Verhalten in unterschiedlichen Situationen abrufen können und sich nicht ablenken lassen." Als Trainerin achte sie außerdem besonders darauf, ob die Menschen in schwierigen Situationen, in denen sie die Hilfe ihres Tieres benötigen, noch sprechen können. Andernfalls muss sie mit dem Team aus Mensch und Hund vielleicht ein anderes Signal trainieren, mit dem der Mensch um Hilfe bitten kann. Auch stellt Miriam Arndt-Gabriel sich auf die besonderen Herausforderungen der jeweiligen Erkrankungen ein. Bei einer Dissoziation komme es häufiger zu Amnesie – daher achtet sie darauf, diesen Kundinnen Informationen zur Erinnerung aufzuschreiben. Autisten hingegen bräuchten eine übersichtliche Struktur – auch daran passt sie ihr Training an. Weiterhin achte sie besonders darauf, wie es dem Menschen – aber auch dem Tier – beim Training geht.
Zusammen mit ihren Kunden findet Miriam Arndt-Gabriel heraus, wie ihnen der Hund helfen kann. "Dabei ist es gut, wenn die Menschen dem Hund sagen, was er machen kann." Dass das Tier die Bedürfnisse seiner Besitzer "erspüre", sei ein Irrglaube. "Außerdem ist es für die Menschen empowerned, wenn sie selber äußern können, was ihnen hilft." Um das herauszufinden, zieht die Trainerin aber auch Ärzte, Psychiater und Menschen aus dem Umfeld hinzu. "Bei einer Dissoziation bekommen die Erkrankten oft selbst nicht mit, was passiert. Da sind Hinweise von Familie oder Freunden hilfreich."
Selbstausbildung oder Fremdausbildung?
Miriam Arndt-Gabriel bietet die Assistenzhundeausbildung als Selbstausbildung an, das heißt: Sie bildet Hund und Mensch zusammen aus. Neben der Selbstausbildung gibt es auch die Fremdausbildung: Dabei bildet der Hundetrainer das Tier aus, um es dann an einen Menschen zu übergeben.
"Die Selbstausbildung ermöglicht von Anfang an einen Bindungsaufbau zwischen Mensch und Hund. Das Tier muss sich später nicht umgewöhnen", sagt die Hundetrainerin. "Auch ist es für meine Kundinnen oft eine gute Sache, die Ausbildung gemeinsam mit dem Tier durchzustehen. Das stärkt das Selbstbewusstsein." Eine Herausforderung dabei sei, dass der Hund einige Dinge lernen müsse, die der Besitzer selbst nicht kann. Wenn jemand Angst vor Menschenmengen hat, kann er das Herausführen dem Hund nicht selbst beibringen, jedenfalls nicht sofort. In solchen Fällen trainiert Miriam Arndt-Gabriel zunächst das Tier und dann Mensch und Tier, bevor der Besitzer alleine mit dem Tier unterwegs sein kann. Sie bevorzugt die Selbstausbildung dennoch: "Bei der Fremdausbildung ist der Hund fertig. Der Mensch bekommt eine Art Einarbeitung. Trotzdem läuft der Übergang oft holprig." Andererseits: Auch der Start in das Selbsttraining mit einem Welpen kann sich in den ersten Wochen schwierig gestalten.
Viele Menschen bevorzugen mittlerweile die Ausbildung mit einem älteren Hund, weil sie mit ihm sofort die Gesundheitsprüfung machen können und somit schneller wissen, ob er wirklich geeignet ist.
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Wie funktioniert das Leben mit Assistenzhund im Alltag?
"Wer einen Assistenzhund hat, muss damit rechnen, immer wieder angesprochen zu werden", sagt Miriam Arndt-Gabriel. Tatsächlich macht sie mit ihren Kundinnen oft die Erfahrung, dass sie im Supermarkt darauf hingewiesen werden, dass Hunde dort verboten sind. Oder sogar lautstark aus dem Laden geschmissen werden. Auf Diskussionen mit Angestellten oder anderen Kunden müssen sie sich in jedem Fall vorbereiten. Die Trainerin übt auch das. "Für meine Klientinnen und Klienten ist es aber besonders schwierig, damit umzugehen, weil sie ja eine psychische Erkrankung haben und es für sie oft schon viel Überwindung kostet, überhaupt einen Supermarkt oder ein Kino zu besuchen." Sie gibt ihnen daher Postkarten mit, auf denen ein QR-Code zur Gesetzeslage über den Zutritt von Assistenzhunden führt. Manchmal sei es ratsam, sich schon vorher eine Strategie zurechtzulegen, per E-Mail den Supermarktbesuch mit Hund anzukündigen oder an der Kasse Bescheid zu sagen. "Aber ich finde es auch wichtig, dass die Menschen ohne Vorbereitung irgendwo hingehen", sagt sie. Aber einfach sei es nicht. Ein Kunde von ihr sei im Supermarkt einmal genau zu seiner psychischen Erkrankung befragt worden.
Es gebe neugierige und gut gemeinte Nachfragen, auch Nachfragen aus Angst vor Hunden oder Hygienebeeinträchtigungen. "Aber auch im Krankenhaus sind Hunde okay", sagt Miriam Arndt-Gabriel. "Dazu gibt es eine Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft." Aus hygienischer Sicht bestehen danach keine Einwände gegen das Mitführen von Assistenzhunden. "Mein Eindruck ist, dass es oft Kinder sind, die sagen: Vielleicht ist es ein Assistenzhund!" Und so die Erwachsenen darauf aufmerksam machen, dass das Tier auch im Supermarkt oder Krankenhaus seine Daseinsberechtigung haben könnte.
Dass mit einem Hund schlagartig alles gut wird, sei oft nur eine schöne Wunschvorstellung, die auch bei Ärzten und Psychiatern noch verbreitet sei. "Der Hund unterstützt den Menschen. Aber der Mensch wird durch ihn nicht wieder gesund", sagt Miriam Arndt-Gabriel. "Außerdem muss der Mensch selbst viel leisten und sich einbringen – während der Ausbildung, aber auch im Alltag, in dem er für den Hund sorgen muss." Nicht allen Menschen sei mit einem Assistenzhund geholfen: "Wenn jemand das Haus nicht verlassen kann, kann ich es als Trainerin nicht verantworten, einen Assistenzhund auszubilden."
Die schönen Momente
Umso schöner ist es, wenn es dann funktioniert – und schließlich auch die Assistenzhundeprüfung bestanden ist. "Da habe ich selbst immer noch regelmäßig Tränen in den Augen", sagt Miriam Arndt-Gabriel. Sie liebt es, Assistenzhunde auszubilden, weil dabei so viele Dinge zusammenkommen – in tierischer und menschlicher Hinsicht: "Ich arbeite gerne mit den Hunden und stelle sicher, dass es ihnen gut geht. Ich komme aber auch gut mit Menschen zurecht, denen es nicht gut geht."
Wenn ihre Kundinnen Fortschritte beim Training machen, wieder hinausgehen und einkaufen gehen, berührt sie das. "Viele Menschen lassen sich lieber von einem Hund helfen als von anderen Menschen." Auch beobachtet sie immer wieder, wie fürsorglich und liebevoll ihre Kundinnen mit ihren Tieren umgehen. "Oft fragen die Leute: Ein Hund und jemand mit einer psychischen Erkrankung – kann das gut gehen?", berichtet Miriam Arndt-Gabriel. "Ich empfinde das als diskriminierend. Ich beobachte immer wieder, wie schön das Miteinander zwischen Mensch und Hund funktioniert."
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