Stephanie Grath reist gerne mit leichtem Gepäck. Sie liebt es, "mit wenig viel zu erreichen". Seit 20 Jahren organisiert sie Wüstentouren mit Nomaden in Tunesien. Auf diesen Reisen kommt es darauf an, mit minimalistischer und optimierter Ausrüstung unterwegs zu sein. "Du weißt nie, was der Tag bringen wird und wen du in der Wüste treffen wirst", sagt sie – und genauso sei es mit ihren Hausbesuchen.
Hauptberuflich ist Stephanie Grath Tierärztin. Neben der Arbeit in ihrer Praxis in Heidenheim an der Brenz in Baden-Württemberg bietet sie Hausbesuche an – und das mit großer Freude. "Sie entsprechen meinem Charakter", erklärt sie. Sie ist viel unterwegs, muss flexibel handeln und sich immer wieder auf neue Menschen, Tiere und Situationen einstellen. Sie liebt das. Auslöser für den Start mit Hausbesuchen war aber eine konkrete Situation.
Wie wichtig Hausbesuche für Tiere und Menschen sein können, erkannte Stephanie Grath bereits kurz nach ihrem Studium in einer Verhaltenstherapie-Sitzung: "Ich behandelte einen zwölf Jahre alten Kuvasz, einen Herdenschutzhund, der ein Verhaltensproblem mit Aggressionen hatte." Das Tier wollte weder ins Auto springen noch sich von seiner Besitzerin anfassen lassen. Auch griff er sein Frauchen an. Stephanie Grath erfuhr, dass die Besitzerin schon lange nicht mit ihrem Hund zum Tierarzt gegangen war – zu lange. Die Tierärztin fand heraus, dass er unter einer Hüftgelenksdysplasie litt und starke Schmerzen hatte.
"Aus dieser Geschichte heraus entstanden die Hausbesuche", sagt die Tierärztin. "Ich wollte Menschen und Tieren helfen, die aus welchen Gründen auch immer nicht in eine Tierarztpraxis gehen können oder wollen." Das war vor fast 20 Jahren. Seitdem behandelt Stephanie Grath Tiere zu Hause.
In welchen Fällen macht Stephanie Grath Hausbesuche?
Ein Kater zerlegt jedes Mal seine Box, wenn er in die Praxis gefahren werden soll. Menschen haben Skrupel, ihre Vögel zum Tierarzt zu transportieren. Eine Frau ist mit mehreren kleinen Kindern und zwei Katzen zu Hause – ein Tierarztbesuch wäre für sie ein großer organisatorischer Aufwand. Das alles sind typische Fälle, in denen Stephanie Grath sich ins Auto setzt und Hausbesuche macht.
Meistens geht es um Tiere, für die ein Praxisbesuch viel Stress bedeuten würde oder die ein auffälliges Verhalten zeigen, zum Beispiel aggressiv werden können. "Zurzeit behandle ich viele Verhaltensfälle", berichtet die Tierärztin außerdem. "Das sind die Hunde, die während der Corona-Pandemie angeschafft wurden und bei denen sich jetzt im Alter von drei Jahren die Probleme manifestieren." Auch Notfälle behandelt sie immer wieder bei Hausbesuchen. Manchmal kommen die Menschen mit ihren Lieblingen wieder in die Praxis, wenn sich die Tiere an Stephanie Grath gewöhnt haben.
Besonders häufig fährt Stephanie Grath zu Menschen und Tieren nach Hause, wenn eine Euthanasie ansteht. "Dann begleite ich die Tiere auf ihrem letzten Weg – und das ist zu Hause viel entspannter, vor allem für die Tiere, aber auch für die Besitzer und für mich als Ärztin", sagt sie. Für Stephanie Grath ist die Euthanasie, die umgangssprachlich oft als "Einschläfern" bezeichnet wird, ein emotionaler Moment – auch nach so vielen Jahren noch. Als sie sich im Gespräch mit Petmos an einen Hund erinnert, den sie schon als Welpen kannte und in seiner letzten Lebensphase begleitete, kommen ihr fast die Tränen.
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Welche Vorteile haben Hausbesuche?
Vor allem in den letzten Lebensstunden eines Tieres sind Hausbesuche gefragt. "Fast alle Euthanasien mache ich bei den Leuten zu Hause", sagt Stephanie Grath. Insgesamt seien die Hausbesuche für die Tiere sehr stressarm. Ein weiterer Vorteil sei, dass es keine Wartezeiten gebe und die Tiere sich nicht mit anderen, möglicherweise ansteckenden Tieren im Wartezimmer aufhalten müssten. "Bei Hausbesuchen ist viel mehr möglich, als viele Leute denken", sagt Stephanie Grath – trotz minimalistischer Ausrüstung. Aber es gibt auch Grenzen und Fälle, in denen Hausbesuche nicht möglich oder zumindest nicht ratsam sind.
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Wann macht Stephanie Grath KEINE Hausbesuche?
"Mein Team und ich fragen am Telefon sehr genau nach", berichtet Stephanie Grath. So wollen sie herausfinden, ob ein Hausbesuch möglich ist oder ob sie das Tier besser in der Praxis behandeln. Letzteres ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Röntgenbild nötig ist. Auch wenn schon klar ist, dass weitere Untersuchungen anstehen, verzichtet Stephanie Grath lieber auf einen Hausbesuch. Die meisten Behandlungen von Tieren in deren Zuhause erledigt die Tierärztin allein. "Nur selten nehme ich einen Mitarbeiter mit", sagt sie. Das bedeutet, dass die Besitzer sie bei der Behandlung unterstützen müssen, zum Beispiel das Tier festhalten müssen. Wenn mehr als eine Person zur Unterstützung nötig ist, muss die Untersuchung in der Praxis durchgeführt werden.
Welche Ausrüstung hat Stephanie Grath dabei?
Zu ihrer festen – minimalistischen – Ausrüstung für Hausbesuche gehören einige Werkzeuge wie ein Stethoskop und ein Gerät zur Ohrenuntersuchung. Hier kommt Stephanie Grath zu Gute, was sie bei den Nomaden gelernt hat: "Man muss nicht immer mit 1000 technischen Highlights arbeiten. Oft kommt man mit seinen Händen und seinem Kopf schon viel weiter." Na klar, und Wissen helfe auch. Weiterhin nimmt sie die benötigten Medikamente mit, wenn sie vorher weiß, was sie brauchen könnte. Ab und zu müssen die Tierbesitzer die Medikamente anschließend aus ihrer Praxis abholen. "Das geht, weil die meisten Leute ja selbst mobil sind", erklärt sie.
Wie weit fährt die Tierärztin zu ihren Patienten?
"Ich fahre überall hin, wenn es jemand bezahlt", sagt Stephanie Grath. Wenn ein Tierbesitzer es sich wünscht, legt sie auch weite Strecken zurück. "Ich liebe das Abenteuer", sagt sie. "Hausbesuche sind oft eine Überraschung. Ich weiß nicht, was mich vor Ort erwartet. Manchmal ist die Situation schwierig. Manchmal entpuppen sind Mensch und Tier als das tollste Team. Ich mag das, ich stelle mich gerne auf neue Menschen ein."
Sind Hausbesuche teurer?
Hausbesuche bieten viele Vorteile, aber nicht jeder kann sie sich leisten. Zusätzlich zu den Tierarztkosten laut Gebührenordnung rechnen Tierärzte die gefahrenen Kilometer ab. Je nach Strecke kann zum Beispiel eine Euthanasie ein paar Hundert Euro mehr kosten als in der Praxis. Seit der neuen Gebührenordnung sind die Tierarztkosten deutlich gestiegen. Bei vielen Hausbesuchen braucht Stephanie Grath vor Ort 30 bis 60 Minuten. In ihrer Praxis schafft sie viele Termine in 15 Minuten. Trotz der Fahrtkosten sind die Hausbesuche für die Tierärztin finanziell kein gutes Geschäft. Stephanie Grath macht sie trotzdem – weil sie Tierleid lindern will, weil sie gerne unterwegs ist und weil sie es unterstützt, dass auch alte Menschen noch ein Tier haben können.
Diese Aufgaben übernimmt ein mobiler Tierpflegedienst
"Das ist ein Faible von mir", sagt sie. "Es gibt so viele einsame Menschen, aber auch viele einsame Tiere im Heim. Ich finde es toll, wenn Senioren ein Tier halten." Um sie dabei zu unterstützen, hat sie ihren mobilen Tierpflegedienst ins Leben gerufen. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen zum Beispiel das Baden und die Fellpflege von Hunden, verabreichen Medikamente oder gehen mit den Tieren Gassi. Auch eine Urlaubsbetreuung ist möglich.
Ein weiterer Vorteil des Tierpfledienstes: Ein Profi schaut nach dem Tier. "Meine Mitarbeiter bemerken dann manchmal auch Krankheiten, die dem Besitzer nicht aufgefallen sind", weiß Stephanie Grath. Ältere Menschen nähmen manche Veränderungen nicht so schnell wahr – etwa, weil sie die Tiere nicht mehr hochheben können. Bei zwei Besuchen pro Woche kommen schnell Kosten von 150 Euro in der Woche zusammen. Immerhin: Die Leistungen des mobilen Pflegedienstes kann man als haushaltsnahe Dienstleistungen von der Steuer absetzen – ein kleiner Vorteil für die Tierbesitzer.
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Stephanie Graths lustigster Hausbesuch
Die Tierärztin sieht bei ihrer Arbeit viel Tierleid. Sie erlebt Menschen, die aus Angst vor einer schlechten Nachricht den Tierarztbesuch hinauszögern. Sie behandelt vernachlässigte Tiere. Bei ihren Besuchen daheim bei Mensch und Tier bekommt sie auch immer ein Stück vom Leben der Menschen mit, ist für eine Stunde Teil des Familienlebens. Das kann schön und herausfordernd sein. Aber es gibt auch lustige Erlebnisse, an die sie sich gerne erinnert.
"Bei Katzen ist es oft so, dass sie ausgerechnet, wenn mein Besuch ansteht, nicht von ihren nächtlichen Streifzügen zurückkehren", sagt sie. "Es ist ein bisschen so, als hätten sie den Terminkalender ihrer Familie geleakt." Bei einem ihrer Hausbesuche war die Katze zwar zu Hause, hatte sich aber im Klavier versteckt. "Dieses Bild werde ich nie vergessen!", sagt Stephanie Grath und lacht. "Es hat ewig gedauert, bis die Katze da herauskam. Sie war nicht ängstlich. Die hatte einfach kein Bock!"
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