Einige haben jahrelang keinen Kontakt zu fremden Hunden. Andere nehmen riesige Umwege auf sich, um ihr Tier keinen Hundebegegnungen auszusetzen.
Wenn Hundebesitzerinnen und Hundebesitzer sich an Maria Rehberger wenden, haben sie mit ihrem Tier meistens schon eine längere Leidensgeschichte hinter sich.
Die Tiertrainerin, die südlich von München lebt, ist auf Hunde spezialisiert, die Problemverhalten zeigen: Stress, Angst, Aggressionen gegenüber anderen Tieren. Meistens setzt Maria Rehberger bei den Hundebesitzerinnen und Besitzern an, um Mensch und Tier zu helfen.
Heftige Beißvorfälle sind die absolute Ausnahme
"Schwerwiegende Beißvorfälle sind sehr, sehr selten", betont Maria Rehberger. "Wenn ein Hund mit einer Tötungsabsicht auf einen anderen losgeht, muss vorher im Umgang mit dem Tier schon sehr viel schiefgelaufen sein." Von Natur aus hätten Hunde einen sozialen Umgang miteinander, wollten Konflikte vermeiden oder beschwichtigen. Bellen, knurren, vorspringen – bevor ein Hund zu Gewalt bereit sei, zeige er viele Warnsignale. "Die Tiere wollen sich gar nicht körperlich auseinandersetzen", sagt Maria Rehberger. "Sie wissen ja nicht, dass es einen Tierarzt oder eine Tierklinik gibt. Darum setzen sie in der Regel alles daran, unversehrt zu bleiben."
Ein Bellen bei einer Hundebegegnung kann auf Menschen aggressiv wirken. Oft bedeute es aber einfach: Du kommst mir gerade zu nahe. Maria Rehberger: "Auch ein Tier muss sich nicht alles gefallen lassen. Das bedeutet aber nicht, dass es aggressiv ist." Viele Menschen hätten kein Verständnis dafür, was bei Hunden zur normalen Kommunikation gehört – und damit fangen die Probleme schon an. Hundehalter reagieren ängstlich oder gar panisch beim Aufeinandertreffen mehrerer Hunde. Oder sie antworten auf das aggressive Verhalten ihrer Tiere mit Druck und Härte. "Unterdrückung führt zu nichts", sagt Maria Rehberger. "Im Gegenteil: Man schafft sich eine tickende Zeitbombe."
Positives Tiertraining: Was ist das eigentlich genau?
Ursachen für Aggressionen zwischen Hunden
Aggressionen bei Hunden sind in vielen Fällen menschengemacht – aufgrund von Unwissen, schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit oder aversiven Maßnahmen, wie die Tiertrainerin weiß. Eine weitere mögliche Ursache sind Krankheiten: Der Hund leidet unter Schmerzen oder Unwohlsein. Maria Rehberger: "Wenn ein Tier über einen längeren Zeitraum höllische Zahnschmerzen hat, ist es kein Wunder, dass es irgendwann aggressiv wird."
Aus diesem Grund führt die Hundetrainerin immer eine ausführliche Anamnese durch, bevor sie die Arbeit mit Hund und Frauchen oder Herrchen beginnt. "Wir müssen das Verhalten ganzheitlich betrachten", sagt sie. "Es macht keinen Sinn, mit Belohnung darüber hinweg zu trainieren." Tiere hätten eine hohe Schmerztoleranz, weil sie keine Schwäche zeigen und sich angreifbar machen wollen. Oft verändere sich das Problemverhalten grundlegend, wenn das gesundheitliche Problem behoben ist. "Dann ist nur noch ein Umlernen einiger Verhaltensweisen nötig, die der Hund sich angewöhnt hat", sagt Maria Rehberger.
Des Weiteren macht sie sich vor dem Trainingsstart ein Bild von der Ernährung und den Haltungsbedingungen: "Wenn ein Hund acht Stunden am Tag allein oder in einer Box eingesperrt ist, kann das nicht gut sein." Auch Schlafmangel könne – wie bei Menschen – zu Aggressionen führen. "Ein Hütehund, der in einer Familie mit drei Kindern lebt, bekommt vielleicht nur acht Stunden Schlaf am Tag, weil er immer wieder durch Geräusche in seiner Ruhe gestört wird. Er braucht aber sechzehn bis zwanzig Stunden Schlaf."
Darum kann das Verhalten deines Hundes ein Warnsignal sein
Mehr als nur Fressen: Diese Probleme kann eine Ernährungsberatung lösen
So hilft Hundetraining bei Problemverhalten
Erst wenn klar ist, dass die Lebensbedingungen des Tieres stimmen oder optimiert wurden, steigt Maria Rehberger ins Training ein und schaut, welches Bedürfnis hinter dem Problemverhalten steht. Angst? Sorge um das Futter? "Der Hauptteil des Trainings ist der grundlegende Umgang mit dem Tier." Nur ein kleiner Teil betreffe direkt das Problemverhalten. Oft gehe es vor allem darum, das Vertrauen des Hundes zu stärken und ihm gute Erfahrungen zu ermöglichen.
Fürchtet sich ein Hund beispielsweise vor anderen Hunden und reagiert deshalb aggressiv, dürfe der Hund Artgenossen zunächst aus sicherer Entfernung beobachten. Spaziergänge in Gebieten mit kontrolliertem Leinenzwang oder dort, wo zwar generell viele Hunde unterwegs sind, zu bestimmten Uhrzeiten aber kaum jemand unterwegs ist, können laut Maria Rehberger weitere Schritte auf dem Weg zum Abbau der Ängste darstellen. Wichtig sei: Jeder Hund ist anders, deshalb gebe es bei Problemverhalten und Aggressionsverhalten im Speziellen niemals ein Kochrezept, um das Verhalten zu verändern. "Kleinschrittiges, gut aufgebautes individuelles Coaching für Hund und Mensch sind unbedingt notwendig", betont die Hundetrainerin.
Maria Rehberger bringt Mensch und Hund bei, wie sie sich in Stresssituationen verhalten können. "Ich belohne den Hund zum Beispiel im Alltag und vor allem außerhalb kritischer Situationen dafür, dass er sich abwendet, weggeht." Auf dieses Verhalten könne er bei Konflikten zurückgreifen. "Das ist immer wieder ein besonderer Moment für mich, wenn das Tier sich zum ersten Mal anders entscheidet und das neu erlernte Verhalten anwendet", sagt die Trainerin. Zeige der Mensch Begeisterung, verstärke er dieses Verhalten zusätzlich in der Situation. Mit der Zeit könne der Hund seine Ängste immer weiter abbauen und habe es nicht mehr nötig, aggressive Verhaltensweisen zu zeigen.
Mensch und Hund im Einklang: Der Einstieg in die Verhaltenstherapie
Hund-Hund-Aggression und die Rolle des Menschen
Oft arbeitet Maria Rehberger zunächst mit dem Menschen – "entkoppelt von seinem Tier". Wenn Hundebesitzer in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen durch einen Vorgängerhund oder fremde Tiere gesammelt haben, müssen auch sie erst wieder lernen, in Begegnungssituationen gelassen zu bleiben. Manche seien schockiert vom "Schulhofverhalten" ihres jungen Hundes. Sie vermeiden weitere Aufeinandertreffen mit anderen Tieren.
"Dann hat der junge Hund aber keine Gelegenheiten mehr, soziales Verhalten zu üben", sagt Maria Rehberger. "Einem Kind, das Konflikte mit anderen Kindern hat, verbieten wir auch nicht jeglichen sozialen Kontakt." Offensives oder defensives Aggressionsverhalten sei bei allen Lebewesen eine Verhaltensoption – und sei es nur, um die Individualdistanz oder Ressourcen zu verteidigen. Das geschehe meistens durch kleine Signale – ein Abrücken, Worte oder beim Hund Zurückweichen oder Bellen.
Warnsignale für Aggressionen bei Hunden
Wichtig sei auch, dass Hundebesitzerinnen und Besitzer die Körpersprache der Tiere genau lesen lernen. "Es ist für den Laien gar nicht so einfach zu unterscheiden, ob ein bestimmtes Verhalten noch spielerisch oder schon aggressiv ist", bestätigt die Tiertrainerin. "Wenn sich bei einem Hund das Rückenfell aufstellt, interpretieren viele das als Aggressionsverhalten. Wertfrei beschrieben, bedeutet es aber nur, dass Adrenalin ausgeschüttet wird." Und das passiere nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch bei Unsicherheit und Aufregung.
Warnsignale für eine Anspannung beim Hund seien Blicke – das verstärkte Hinschauen oder Wegschauen – oder eine erhöhte Muskelspannung. "Die Anspannung kann aber auch wieder weggehen", weiß Maria Rehberger. Der Konflikt müsse nicht eskalieren. Eine gute Voraussetzung dafür sei vor allem das Verhalten der Besitzerin oder des Besitzers. Als Hundehalter sollte man ruhig bleiben, in freundlichem Ton mit dem Tier reden und im Zweifel der Situation aus dem Weg gehen.
Bestraft man Drohverhalten hingegen, verschwinde der Grund nicht, sondern eskaliere im schlimmsten Fall "Das sind dann diese Tiere, die irgendwann ,aus dem Nichts heraus' beißen", sagt Maria Rehberger. Hunde benutzten Menschen als soziale Referenz. "Man kann extrem viel tun, um eine Eskalation zu vermeiden und übrigens auch das Verhalten fremder Hunde steuern." Komme etwa ein anderer Hund auf den eigenen zugerannt, könne man sein Tier durch Winken oder freundliches Ansprechen aus dem Fokus nehmen.
Alarm, Angst oder Freude? Das bedeutet das Bellen deines Tieres wirklich
So verhältst du dich bei einem eskalierenden Konflikt
Und was ist, wenn es dann doch passiert? Wenn ein Konflikt eskaliert und es zum Angriff kommt? In 18 Jahren Verhaltensberatung hat Maria Rehberger erst einen Hund erlebt, der mit einer Tötungsabsicht auf einen anderen losgegangen ist. "Man kann dem Angreifer ein Tuch oder eine Jacke über den Kopf werfen, um sich Zeit zu verschaffen und das Tier vom Zubeißen abzuhalten." Auch Wasser helfe. Das könne man auch noch einsetzen, wenn der Angreifer bereits an dem anderen Hund dran sei.
Oft, so Maria Rehberger, passierten Beißvorfälle jedoch nicht beim Spazierengehen, sondern eher zwischen mehreren Hunden im eigenen Haushalt. Habe ein Tier zugebissen, solle man es nicht wegziehen. "Dadurch können Risse entstehen und die sind oft schlimmer als der Biss an sich." Stattdessen sollte man lieber den Kiefer aufhebeln und einen Gegenstand, zum Beispiel einen Besenstiel, zwischen die Zähne stecken.
"Es ist in so einer Situation schon besser, wenn mindestens zwei Menschen vor Ort sind", sagt Maria Rehberger. Ein Problem bei Beiß-Vorfällen seien häufig die großen Gewichtsunterschiede der involvierten Tiere.
Aber: Die Tiertrainerin betont noch einmal, dass heftige Beißvorfälle die Ausnahme sind und eine Menge passieren muss, bis es überhaupt so weit kommt. Sie setzt in ihrer Verhaltensberatung alles daran, dass Mensch und Tier die Kontakte zu anderen Hunden und auch Menschen als angenehm erleben. Auch seien Hunde, die eine Bindung zueinander aufbauten, oft liebevoll im Zusammensein – "kniffeln" sich gegenseitig das Fell und entschuldigen sich durch beschwichtigendes Ohrenlecken, wenn sie den anderen mal versehentlich erschreckt haben.
Lies auch:
Dialog statt Diktat: So geht Kooperation und Mitbestimmung im Tieralltag
Das Haustier als Herausforderung: So kommst du besser durch Tierkrisen
Notfälle erkennen und Erste Hilfe leisten: Tipps einer Tierärztin